Damit viele Lindauer ihre Stadt gestalten
Stadtverwaltung will Bürgerbeteiligung nach Vorarlberger Vorbild einführen.
LINDAU - Mehr Lindauer sollen sich an der Gestaltung ihrer Stadt beteiligen. Dabei will die Verwaltung vor allem junge Menschen ansprechen. Nach Vorarlberger Vorbild denkt Pressesprecher Jürgen Widmer an eine sogenannte Projektwerft. Was er damit meint, hat er am Mittwochabend im Stadtrat vorgestellt.
Die Stadt hat in den vergangenen Jahren viele Formen der Bürgerbeteiligung ausprobiert. Doch insgesamt leidet Lindau darunter, dass meist die gleichen Menschen dabei sind, dass diese Menschen fast ausnahmslos zur älteren Generation gehören und dass die Beteiligten dabei oft mehr streiten als gemeinsam eine Lösung zu suchen. „Oft geht es nur darum, Recht zu haben“, sagt Widmer. In vielen Fragen sind die Fronten deshalb sehr verhärtet. Äußeres Zeichen sind die verschiedenen Bürgerentscheide der vergangenen Jahre.
Widmer hat sich deshalb mit den sogenannten Projektschmieden befasst, die in Vorarlberg sehr erfolgreich sind. Auch verschiedene deutsche Großstädte greifen inzwischen auf dieses Format zurück, um Bürger am Stadtgeschehen zu beteiligen. Das soll nicht das politische Tauziehen um die richtigen Lösungen ersetzen, deshalb wird sich auch nichts daran ändern, dass laut Gesetz der Stadtrat das letzte Wort hat. Aber das Format kann dazu führen, dass mehr Bürger an einem Strang ziehen, weil sie sich zuvor auf ein gemeinsames Ziel geeinigt haben.
Die Lindauer Projektwerft soll ein Klima des Vertrauens schaffen, ein Raum für Ideen sein. Dabei geht es nicht nur um städtische Themen. In Vorarlberg nutzen auch Vereine das Format, um ihre Probleme zu lösen. Und manche Privatperson hat sich dort ebenfalls schon Hilfe geholt. Wichtige Voraussetzung ist laut Widmer, dass die Teilnehmer eine Grundregel anerkennen: „Nicht alle Ideen werden umgesetzt.“Denn manche Ideen schließen sich auch gegenseitig aus. Andererseits müssten Stadtrat und Verwaltung den echten Willen haben, vieles eben doch umzusetzen, denn die Projektwerft dürfe keine Alibiveranstaltung sein.
Voraussetzung für den Erfolg ist laut Widmer, dass sich alle Beteiligten auf Augenhöhe begegnen. In Vorarlberg nennen sich deshalb alle beim Vornamen, Berufe und Herkunft spielen keine Rolle. Ausgebildete Moderatoren achten darauf, dass die Gespräche lösungsorientiert ablaufen. Konfrontationen wollen sie vermeiden. Bei den Treffen ist jeder eingeladen, der sich vorab im Internet anmeldet.
Beim Treffen gibt es dann die Projektgeber, die ihre Ideen und Vorschläge in kleinen Runden vorstellen. Dabei müssen sie alles stark zusammenfassen, denn sie haben nicht mehr als zwei Minuten Zeit. Das zwingt zur Konzentration auf das Wesentliche und führt dazu, dass Selbstdarsteller fernbleiben.
In einer Runde sitzt der Projektgeber mit anderen Interessierten am Tisch, den sogenannten Begleitern. Sie bringen ihre Ideen zu dem Projekt ein und diskutieren das. Da es mehrere solcher Tische gleichzeitig gibt, wechseln die Begleiter nach einer gewissen Zeit an einen anderen Tisch. Dort sprechen sie über die Ideen aus der ersten Runde und ergänzen sie mit eigenen Vorschlägen. Nach einer gewissen Zeit kehrt dann wieder jeder an den ersten Tisch zurück. Jetzt geht es darum, konkrete Handlungsschritte zu besprechen. Denn viele gute Ideen leiden darunter, dass die Projektgeber nur träumen, aber nichts umsetzen.
Die Projektwerft bietet auch den Leisen ein Forum
Die Erfahrung zeigt, dass das Verfahren viele Vorteile bringt, sagt Widmer. Denn die Stadtgesellschaft vernetze sich besser, weil Menschen miteinander ins Gespräch kommen, die im Alltag nichts miteinander zu tun haben. Davon könne jeder lernen. Das schaffe Vertrauen und baue Vorurteile ab. Zudem biete dieses Format auch den Leisen ein Forum, in dem sie zu Wort kommen, während sonst oft die Lauten den Ton angeben.
Den meisten Stadträten gefällt der Vorschlag. Einige wollen sich das in Bregenz mal anschauen. Ausprobieren könnte man das bei der Entwicklung der Hinteren Insel. Dass die Stadt vor allem für die professionellen Moderatoren einer Projektwerft ungefähr 25.000 Euro im Jahr aufbringen müsste, ist laut Widmer und OB Gerhard Ecker kein Problem: „Wenn es uns gelingt, damit einen Bürgerentscheid zu vermeiden, dann haben wir schon gespart.“