„Ungelernte haben keine Chance mehr“
Der Chef des Autozulieferers Marquardt über den aktuellen Tarifabschluss, Donald Trump und chancenlose Autodiebe
RIETHEIM-WEILHEIM - Zuversichtlich und selbstbewusst, so tritt Harald Marquardt auf. Und genau so will der 57-Jährige Marquardt-Chef den Autozulieferer aus Rietheim-Weilheim (Kreis Tuttlingen) auch auf die Unwägbarkeiten der Zukunft vorbereiten. Benjamin Wagener und Andreas Knoch haben den Familienunternehmer am Stammsitz getroffen und ihn nach diesen Herausforderungen gefragt – und dabei auch viel über unverschämte Gewerkschaften gehört.
Herr Marquardt, Sie bauen Schalter für Bohrmaschinen und für Autos. Ungewöhnliche Kombination?
Nein, gar nicht. Wir sind ein Mechatronik-Spezialist, der die Feinmechanik, die Elektronik und die Software kombiniert. Das klingt einfach, ist es aber nicht. Deshalb straucheln viele Konkurrenten, und deshalb kommen namhafte Konzerne zu uns. Und so sind wir zu einem global agierenden Unternehmen geworden – auch was die Kundschaft angeht.
Die Chefs der großen Autokonzerne kaufen also genauso bei Ihnen ein wie die Manager von Unternehmen wie Black & Decker?
Ja, Rietheim-Weilheim ist ein kleines Dorf mit Charme. Wir sind wahrscheinlich die einzige Gemeinde in Deutschland, die mehr Arbeitsplätze anbietet, als sie Einwohner hat. In Rietheim-Weilheim arbeiten 2850 Menschen, 2400 davon bei uns – bei 2800 Einwohnern.
Im Laufe der Jahre ist Marquardt zu einem Automobilzulieferer geworden. 80 Prozent Ihres Umsatzes machen Sie mit solchen Produkten. Wie kam es dazu?
Bereits in den 1980er-Jahren stellte Marquardt erste Spezialschalter für Automobilanwendungen her, der entscheidende Durchbruch gelang uns dann in den 1990er-Jahren. Und das hatte unter anderem mit der damals sehr hohen Diebstahlquote von teuren Fahrzeugen zu tun. Von 100 Fahrzeugen wurden in der Hochphase mehr als zehn Autos gestohlen. Manchen Herstellern war das nicht ganz unrecht, denn jedes gestohlene Auto musste ja schnell ersetzt werden. Das führte allerdings dazu, dass die Versicherungsprämien dramatisch in die Höhe gingen. Die Branche suchte damals nach einer technologischen Lösung für das Problem – uns hat man das dann zugetraut.
Was haben Sie gemacht?
Wir haben gemeinsam mit der damaligen Daimler-Tochter Temic in Markdorf, die heute zu Continental gehört, den elektronischen Zündstartschalter entwickelt. Das war etwas revolutionär Neues. Vorher war das mechanische System oft sehr einfach zu knacken – jeder kennt die Filme, in denen Diebe einfach zwei Drähte aneinanderhalten und losfahren konnten. Das geht nun nicht mehr. Nach dem Erfolg des Systems hat uns die Autoindustrie als ernst zu nehmenden Zulieferer wahrgenommen. Und inzwischen haben wir auch das weltweit sicherste System gegen sogenannte Relay-Attacken entwickelt, das es Dieben künftig unmöglich macht, die Signale des Funkschlüssels abzufangen, zu überbrücken und damit Autos zu knacken.
1995 haben Sie einen Umsatz von 120 Millionen Euro erwirtschaftet, heute ist es das Zehnfache.
Unser Erfolg im Autosektor war der Auslöser für das exponentielle Wachstum. Seitdem kennt man uns – national und international.
Können Sie die Erfahrungen aus dem Geschäft mit Elektromaschinen für die Elektromobilität nutzen?
Das Know-how, dass wir hohe Ströme in batteriebetriebenen Werkzeugen schalten können, prädestiniert uns heute, künftig als Hersteller von Batteriesteuergeräten ernst genommen zu werden. Die Kundschaft erkennt, dass wir beide Themen zusammenbringen können.
Wie wird sich die Elektromobilität entwickeln?
Sie wird eine der Technologien der Zukunft sein. Doch der Hype, dem die Elektromobilität zurzeit unterliegt, ist ein wenig übertrieben. Die Zukunft liegt im Mix. Hybridfahrzeuge gibt es schon, auch der Verbrenner wird in Zukunft noch seinen Platz haben. Zudem muss man sehen, trotz Milliardeninvestitionen in die Batterietechnologie ist die Technik noch nicht so nutzbar, dass sie auch für einen verwöhnten Endkunden ohne Einschränkung zu gebrauchen ist.
Warum ist vor allem China so interessiert an der Entwicklung der Elektromobilität?
Die Chinesen haben eine Luftverschmutzung in den Megacities, die wir so nicht kennen. Außerdem hat die chinesische Regierung ein großes Interesse daran, auch bei Zukunftstechnologien eine Rolle zu spielen. Bei den Verbrennungsmotoren – und da gehört die Dieseltechnik dazu – bauen deutsche Unternehmen das Beste, was weltweit möglich ist. Diesen Vorsprung aufzuholen, würde Jahrzehnte dauern. Deswegen ist es strategisch sehr geschickt, wenn man das Notwendige mit dem Wünschenswerten vereinigt.
Welche Rolle wird aus Ihrer Sicht in Zukunft der Diesel spielen?
Wir Deutschen neigen manchmal zu Übertreibungen und dazu, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Wenn man eine Technologie verdammt, sollte man immer auch überlegen, was danach kommt. Es wird einen Mix geben, die Elektromobilität wird kommen. Andere Technologien werden aber bleiben, weil sie im Gesamtmix Ökologie und Ökonomie – und dazu zähle ich auch die Dieseltechnik – nach wie vor eine wesentliche Rolle spielen.
Unternehmer kritisieren, dass Peking den chinesischen Markt Ausländern nicht in gleicher Weise öffnet, wie der Westen das Investoren aus China gegenüber tut. Was sind Ihre Erfahrungen?
Wir haben durchweg positive Erfahrungen gemacht. Das mag aber auch daran liegen, dass wir als Hidden Champion noch immer unter dem Radar der wahrnehmbaren Unternehmen laufen. Ich kann in keiner Beziehung etwas Negatives mit Blick auf Patentschutz, Marktzugänge, Kapitaltransfer oder die Behandlung sagen. Wir haben dort eine 100-prozentige Tochter gegründet, und das war und ist eine Erfolgsgeschichte – für uns, für unsere Mitarbeiter dort und auch für den chinesischen Staat.
Auch in den USA sind Sie engagiert. Intensivieren Sie Ihr Engagement dort nach der Steuerreform von Präsident Donald Trump?
Über viele Aussagen Trumps musste ich immer ein wenig schmunzeln, denn wir sind eigentlich das typische Musterunternehmen, das er sich wünscht. Wir haben seit 1981 eine Produktion dort, wir haben nie die Segel gestrichen, auch als wir in den roten Zahlen waren. Viele uramerikanische Unternehmen verlagerten dagegen in der Zeit hoher Steuern und der günstigeren Produktionskosten im Ausland ihre Werke nach Asien und vor allem nach China. Das lag aber nicht nur daran, dass China die Unternehmen begrüßt hat, es lag auch an der Ignoranz des Westens.
Was meinen Sie mit der Ignoranz des Westens?
Die Unternehmen waren nicht mehr bereit, in der Heimat zu investieren, das hatte mit vielen Dingen zu tun. Mit viel zu hohen Forderungen der Gewerkschaften, die Personalkosten stiegen schneller als die Produktivität. Diese Gefahr sehe ich gerade auch wieder für den Standort Deutschland. Es läuft gerade wieder vieles auseinander, und man kann die Bedenken nicht immer einfach abtun mit „Das können wir uns schon leisten“. Wir können es uns eben nicht leisten.
Donald Trump tritt für eine Abschottung des US-Markts ein. Wie sehen Sie diesen Protektionismus?
Das ist besorgniserregend, denn protektionistische Maßnahmen haben noch nie geholfen, es gibt immer mehr Verlierer als Gewinner. Betrachtet man Präsident Trumps Politik der vergangenen Monate aber genauer, sehe ich das besorgniserregende Element wiederum etwas entspannter, weil auch die amerikanische Regierung trotz der Machtfülle, die sie auf sich vereint, sieht, dass sie in der globalen Welt nicht alles alleine stemmen kann.
Im Moment investieren Sie in Rietheim-Weilheim. Wie wird sich Ihr Hauptsitz entwickeln?
Wir wollen grundsätzlich wachsen, der Stammsitz unterliegt seit Jahren einer qualitativen Aufwertung. Das bedeutet, dass die einfachen Tätigkeiten zu meinem Bedauern hier nicht mehr wettbewerbsfähig genug sind. Das sind die Tätigkeiten für Leute ohne Ausbildung, die aber sehr wohl eine Arbeitsberechtigung haben – sie verrichten Montagetätigkeiten und bauen Schalter zusammen.
Und das ist nun vorbei?
Der Lohn für diese Mitarbeiter wurde durch die ignorante Einstellung der Gewerkschaften leider sehr teuer gemacht. Zu dieser Aussage stehe ich. Man wollte als Luxusgewerkschaft lieber den Mitgliedern dienen, als auch unqualifiziertere Kollegen mitzunehmen. Insgesamt hat das dazu geführt, dass Ungelernte bei uns in der Region keine Chance mehr haben, einen vergleichsweise immer noch gut bezahlten Job zu bekommen. Die Unternehmen verlagern die einfache Arbeit aus Wettbewerbsgründen mehr und mehr ins Ausland und ersetzen die Tätigkeiten durch hochwertige Ingenieursund Technikertätigkeiten. Das tut mir persönlich leid, ist aber Fakt. Das führt bei uns zwar insgesamt immer noch zu Mitarbeiteraufbau, aber die Struktur ändert sich.
Bei der Präsentation der Jahreszahlen nannten Sie den Gewinn „zufriedenstellend, aber angespannt“. Was bedeutet das?
Angespannt deshalb, weil wir zwar Gewinn machen, der aber jedes Jahr unter Druck ist, da wir uns zu jährlichen Preisnachlässen bei unseren Kunden verpflichten müssen. Gleichzeitig haben wir eine Ungewissheit, was die Personalkosten angeht. Wir mussten einem viel zu teuren Tarifabschluss zustimmen, er ist schädlich für den Standort Deutschland, insbesondere für Baden-Württemberg. Leider ist das Verhältnis Gewerkschaft Arbeitgeber nicht mehr auf Augenhöhe, wir sind dramatisch erpressbar und müssen uns überlegen, wie wir wieder auf Augenhöhe kommen.
Aber werden Sie denn dann 2018 schwarze Zahlen schreiben?
Es ist schön, dass die Träne in meinem Auge zu sehen ist, aber ich gehe davon aus, dass wir auch 2018 schwarz schreiben – nicht schwarz sehen!
Im Zuge der Abgaskrise hat VW noch einmal außer der Reihe Rabatte gefordert. Auch von Ihnen?
Über einzelne Kunden sprechen wir nicht. Aber gehen Sie davon aus, dass jeder Kunde gerne auch unterjährig das Wort Preisnachlass in den Mund nimmt und dabei unglaublich innovativ mit seinen Argumenten ist.
Äußern Sie sich als Unternehmenschef politisch?
Ich denke, dass man, wenn man gute Argumente hat, diese in der Öffentlichkeit vertreten kann und vertreten soll. Deshalb engagiere ich mich seit Jahrzehnten auch im Arbeitgeberverband Südwestmetall. Allerdings bin ich auch der Meinung, dass nicht jeder Unternehmer jeden Tag einen neuen Wunsch an die Öffentlichkeit und an die Politik richten soll.
Was ist Harald Marquardt für ein Mensch?
Das Wichtigste ist, er ist ein Mensch – und auch ein nahbarer. Der aber auch durchaus um die Härte des Geschäfts weiß und auch zu kämpfen gelernt hat. Die Zahl meiner Hobbys ist begrenzt, mein Haupthobby ist zum Leidwesen meiner Familie das Unternehmen Marquardt. Insofern bin ich wohl ein typischer Familienunternehmer.