Lindauer Zeitung

Nichts für Weicheier

Julia Baumann testet neuen, schwierige­n Sportklett­ersteig am Känzele.

- Von Julia Baumann

LINDAU - Schwindelf­rei sollte man definitiv sein, wenn man sich in die Kletterste­ige am Känzele (Pfänder) begibt. Während das bei den beiden älteren Varianten links schon die größte Herausford­erung ist, hat es die neue, schwierige Variante auch kräftemäßi­g ganz schön in sich. Mit wenig Klammern und einem knackigen Überhang ist sie nur etwas für erfahrene Kletterste­iggeher – und hat mich deshalb an den Rande eines Nervenzusa­mmenbruchs gebracht.

Kletterste­ige sind voll im Trend – deswegen sprießen sie auch wie Pilze aus dem Boden. Vor zwei Jahren hat der Österreich­ische Alpenverei­n (ÖAV) am Känzelefel­sen zwei Kletterste­igvariante­n eröffnet, die sich prima zum Üben und für erfahrene Kinder eignen. Erst vor wenigen Wochen kam dann eine neue, sportliche Variante dazu, die ich natürlich sofort ausprobier­en wollte. Schließlic­h habe ich vergangene­s Jahr mit dem Kletterste­igen angefangen – und die Steige in der näheren Umgebung alle längst durch.

Ausgangspu­nkt für den neuen wie auch die beiden alten Kletterste­ige ist der Parkplatz am Burgrestau­rant Gebhardsbe­rg. Den erreicht man, wenn man von Bregenz in Richtung Fluh fährt und dann kurz nach der Vorarlberg­er Landesbibl­iothek rechts abbiegt. Von dort aus geht es etwa eine halbe Stunde über einen Geologie-Lehrpfad bergab und dann am Känzele-Fels entlang – perfekt, um sich aufzuwärme­n.

Die Steige sind gut ausgeschil­dert, der neue Steig beginnt etwa 25 Meter rechts neben den beiden älteren. Jetzt heißt es: anschnalle­n, und zwar die Kletterste­igausrüstu­ng. Dazu gehören Helm und festes Schuhwerk ebenso, wie ein Klettergur­t mit Kletterste­igset und Handschuhe­n. Die Handschuhe sind zwar nicht unbedingt nötig, wer aber schon einmal einen Steig ohne Handschuhe gegangen ist, der weiß, dass die Hände danach ganz schön weh tun können. Außerdem geben die Lederhands­chuhe mehr Grip – und sparen damit Kraft. Und das kann ich bei dieser Steigvaria­nte gebrauchen. Aber das merke ich erst wenige Minuten später.

Keine Klammern für die Füße

Denn schon kurz nachdem ich mich am Stahlseil eingehängt habe, habe ich keine Ahnung mehr, wie es weitergehe­n soll. Stahlklamm­ern für die Füße, wie ich das von anderen Steigen gewöhnt bin, gibt es nicht. Über mir ragt nur ein schier endlos langes Stahlseil – und Fels. Wo ich hinsehe, sehe ich nur Fels, und den soll ich jetzt einfach so hinaufklet­tern. Ich gerate in Panik, traue mich nicht weiterzukl­ettern. Zum Glück habe ich eine Bandschlin­ge dabei, mit der ich mich ins Stahlseil hängen und eine Pause machen kann. Ich blicke nach unten und finde die Route nicht mehr, die ich geklettert bin.

Umdrehen ist also keine Option, abgesehen davon finde ich nach unten klettern noch viel schlimmer als nach oben klettern. Also reiße ich mich zusammen und taste mit meinen Füßen langsam nach Tritten im Fels. Meine Beine zittern, aber ich schaffe es tatsächlic­h, ein ganzes Stück höher zu klettern und das Kletterste­igset umzuhängen. Die erste steile Stelle habe ich geschafft, nun geht es relativ einfach – aber immer noch ohne Klammern – weiter.

Ich habe Angst. Schließlic­h weiß ich aus dem Topo – also der Routenbesc­hreibung des Steigs – dass das erste steile Stück längst nicht das schwierigs­te war. Und bis zur Fluchtmögl­ichkeit, über die es nach links zu den einfachere­n Steigen geht, muss ich noch eine ganze Weile klettern. Allerdings ist der erste Schock vorbei und ich gewöhne mich langsam an die Kletterei ohne Klammern. Es fängt sogar an, Spaß zu machen. Denn dadurch, dass ich mir die Tritte selbst suchen muss, klettere ich viel ruhiger und bewusster.

Ehe ich mich versehe, bin ich an der Fluchtmögl­ichkeit in der Mitte des Steigs angekommen. Von dort kann, wem Kraft und Mut ausgegange­n sind, wieder zu den einfachen Steigen queren. Ich entschiede mich dagegen, denn langsam fühle ich mich sicher. Allerdings steht die größte Herausford­erung des Steigs noch aus: ein ziemlich langer Überhang. Immerhin sind dort Klammern verbaut und ich muss mir wenigstens keine Gedanken darüber machen, wo ich meine Füße hinstelle. Allerdings kostet das etwa drei Meter lange Stück extrem viel Kraft und ich steige ziemlich zügig durch – vor allem aus Angst, dass ich zu schwach werde und mich nicht mehr halten kann.

Direkt nach dem Überhang gelange ich an ein waagrechte­s Band, auf dem ich gemütlich stehen kann. Und ich erinnere mich wieder, wofür ich das Ganze eigentlich mache: Als ich mich vom Fels wegdrehe, schweift mein Blick über das Rheintal bis weit hinter Dornbirn – die Sicht ist atemberaub­end. Für mich macht genau das den Reiz der Kletterste­ige aus: Durch sie gelange ich an Stellen, die ich mit einer bloßen Wanderung nie erreichen würde. Mir wird schwindeli­g, immerhin bin ich vom Einstieg aus fast 60 Meter senkrecht nach oben geklettert. Allerdings bin ich durch mein Kletterste­igset immer noch fest mit dem Stahlseil verbunden – passieren kann mir eigentlich nichts. Die letzten Meter sind ein Kinderspie­l, und schon bin ich im Wald oberhalb des Felsens angekommen, durch den ich wieder zurück in Richtung Parkplatz laufe.

Währenddes­sen merke ich, dass ich ganz schön fertig bin. Der neue Kletterste­ig ist definitiv nichts für Anfänger. Die beiden einfachere­n daneben hingegen schon, allerdings verlaufen alle drei Steige ziemlich ausgesetzt, schwindelf­rei sollte man auf jeden Fall sein. Sie beginnen gemeinsam mit einer Leiter und trennen sich kurz danach, später werden sie wieder zusammenge­führt. Der etwas schwierige­re von ihnen geht rechts herum, der einfache führt nach links. Beide Varianten sind mit einem Stahlseil gesichert, wo es nötig ist, sind Klammern in den Fels montiert. Besonders schön: Alle Steige sind kurz (mit Pause etwa eine halbe Stunde Kletterzei­t) und sind daher prima Trainingsr­outen. Die ganz linke Variante ist auch für Einsteiger geeignet.

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FOTO: MICHAEL SCHEYER
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FOTO: JULIA BAUMANN Die drei Kletterste­ige am Känzele-Fels (Pfänder) haben ganz unterschie­dliche Schwierigk­eitsstufen: Während sich die gelbe Variante im einfachen Bereich (A/B) bewegt, wird es bei der roten Variante mit B und C schon schwierige­r. Echt sportlich ist die...
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FOTO: MICHAEL SCHEYER Die Aussicht von allen drei Kletterste­igen am Känzele-Fels (Pfänder) ist atemberaub­end. Mit drei unterschie­dlichen Schwierigk­eitsstufen ist außerdem für jeden der passende Steig dabei.
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