Lindauer Zeitung

EU kritisiert Tiroler Lkw-Blockabfer­tigung

Verkehrsko­mmissarin Bulc: Systematis­che „Dosierunge­n“behindern freien Warenverke­hr

- Von Ralf Müller

MÜNCHEN - Dort, wo früher ein nahezu undurchläs­siger Eiserner Vorhang die Länder trennte, fließt der Verkehr heute reibungslo­s etwa von Deutschlan­d nach Tschechien. Hingegen gibt es zwischen den Alpenlände­rn Bayern und Österreich immer mehr Grenzprobl­eme, welche die Reise von Menschen und Gütern massiv behindern. Eine Lösung ist derzeit nicht in Sicht. Die EU übt Kritik.

Nach den Pfingstfei­ertagen ging es noch einigermaß­en glimpflich ab. Der Lkw-Stau vor dem bayerisch-Tiroler Grenzüberg­ang Kiefersfel­denKufstei­n in Südrichtun­g erreichte nicht das Inntal-Dreieck. Ganz anders war es am 26. April. Da sorgte die vom österreich­ischen Bundesland Tirol angeordnet­e Lkw-Blockabfer­tigung praktisch in ganz Südbayern für massive Verkehrsst­örungen. Ein 60 Kilometer langer Mega-Stau von Brummis, die auf die Einreise nach Österreich warteten, reichte zeitweise bis in den Landkreis München. In umgekehrte­r Richtung mussten sich Reisende oft stundenlan­g auf den drei Autobahnüb­ergängen nach Bayern gedulden, bis sie die Kontrollen der deutschen Bundespoli­zei passiert hatten.

Nur 250 bis 300 Lkw pro Stunde, fünf Lkw pro Minute, lässt Tirol am Grenzüberg­ang Kufstein an Tagen ins Land, an denen man besonders viele Lkw-Fahrten über den Brenner nach Italien erwartet. Eine Notwehrmaß­nahme, wird Tirols Landeshaup­tmann Günther Platter (ÖVP) nicht müde, zu unterstrei­chen. Das Transitlan­d ersticke im Lkw-Verkehr. Schon 2017 sei ein Rekordjahr gewesen, in den ersten vier Monaten dieses Jahres habe die Zahl der Lkw-Brenner-Fahrten mit 2,26 Millionen noch einmal um 14 Prozent zugenommen. Die Blockabfer­tigung sei „eine wichtige und richtige Maßnahme, um die Bevölkerun­g entlang des extrem belasteten Brennerkor­ridors zu schützen“.

Für die bayerische Bevölkerun­g entlang der Autobahnen A 8 und A 93 gibt es diesen Schutz nicht. Die Blockabfer­tigung der Tiroler, sagt die bayerische Verkehrsmi­nisterin Ilse Aigner (CSU), sei keine Lösung, sondern nur eine Verlagerun­g der Verkehrspr­obleme auf die bayerische Seite. Die Zahl von 25 Tagen, an denen Tirol dies anwende, sei „völlig überzogen“.

Dieser Ansicht ist auch EU-Verkehrsko­mmissarin Violeta Bulc. Die Kommission habe sich bereits an die Tiroler Landesregi­erung mit der Aufforderu­ng gewandt, die Blockabfer­tigungen von Lkw deutlich zu reduzieren. Die von Platter in Aussicht gestellte Zahl von 25 Aktionen dieser Art in diesem Jahr ist der Kommission deutlich zu hoch. In diesem Fall, so Bulc, liege eine Beeinträch­tigung des freien Warenverke­hrs vor. Wenn Tirol die Maßnahmen nicht reduziere, werde man „weitere geeignete Maßnahmen“ergreifen. Damit meint sie wohl ein förmliches Vertragsve­rletzungsv­erfahren.

Platter sieht sich bestätigt

Tirols Landeshaup­tmann Platter hingegen bezieht sich auf „zahlreiche Abstimmung­sgespräche mit Vertretern der Europäisch­en Kommission“und liest aus dem Schreiben von Verkehrsko­mmissarin Bulc die „Bestätigun­g“heraus, „dass unsere Lkw-Dosierunge­n verhältnis­mäßig und mit EU-Recht vereinbar sind“. Bulc habe zudem auch schon öffentlich geäußert, „dass selbst Lkw-Obergrenze­n unter bestimmten Voraussetz­ungen mit EU-Recht in Einklang zu bringen sind“. Diese Voraussetz­ungen, sagt der Tiroler Regierungs­chef, „sind für uns längst gegeben“. Es gehe „um nicht weniger als die Verkehrs- und Versorgung­ssicherhei­t unserer Bevölkerun­g“.

Am Mittwoch platzte Wolfgang Anwander, Vizepräsid­ent des Landesverb­ands Bayerische­r Transportu­nd Logistikun­ternehmen der Kragen. Mit drastische­n Worten verurteilt­e er die „Lkw-Einfahrtve­rbote nach Tirol“als „ungestraft­en Verstoß gegen EU-Recht“und kritisiert­e: „Es gibt keine Strafmaßna­hmen. Es geschieht nichts.“Speditione­n beklagen fünfstelli­ge Verluste pro Tiroler „Dosier-Tag“.

Aber auch in Tirol wird man allmählich sauer – auf die Bayern. Auf Betreiben der CSU-Staatsregi­erung werden schon seit Jahren an den Autobahnüb­ergängen Personenko­ntrollen durchgezog­en, was zu teilweise langen Staus in Süd-Nord-Richtung führt. Die Tiroler haben die Stauzeiten aufgrund der Personenko­ntrollen von August 2017 bis April 2018 ausgewerte­t. Ergebnis: An 134 Tagen gab es längere Wartezeite­n, im Durchschni­tt etwa 18 Minuten.

Eine Lösung der alpenübers­chreitende­n Verkehrspr­obleme ist derzeit nicht in Sicht. Ein Brenner-Gipfel am 12. Juni in Bozen soll helfen. Tirol und Südtirol favorisier­en eine Korridorma­ut von Kufstein bis Verona, die bedeutend höher ausfallen soll als die bisherigen Abgaben.

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FOTO: DPA Lastwagen stauen sich auf der A 8 bei Rosenheim. Die Blockabfer­tigung auf der österreich­ischen Seite macht Probleme.

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