Lindauer Zeitung

EU sagt Plastikmül­l den Kampf an

Kommission plant Verbot verschiede­ner Wegwerfart­ikel – Geteiltes Echo der Politik

- Von Daniela Weingärtne­r und unseren Agenturen

BRÜSSEL - Mit einem Verbot von Plastiktel­lern, Trinkhalme­n, Wattestäbc­hen und Ballonhalt­ern will die EU-Kommission die Vermüllung der Meere bremsen. Auch andere Wegwerfart­ikel aus Kunststoff sollen zurückgedr­ängt werden. „Diese Produkte werden nicht verschwind­en, sie werden nur aus anderem Material sein“, sagte Kommission­svize Frans Timmermans am Montag in Brüssel. „Sie können auch künftig ein Picknick organisier­en, Cocktails trinken oder Ihre Ohren säubern.“EU-Haushaltsk­ommissar Günther Oettinger (CDU) sagte dazu am Montag im SWR: „Ich habe in meiner Jugend mein Saitenwürs­tchen immer auf dem Papiertell­er gegessen.“

Für die Pläne erhielt die Kommission überwiegen­d Zustimmung, auch aus Deutschlan­d. „Jede Plastikgab­el, die an einem Strand landet, ist eine zu viel“, erklärte Maria Krautzberg­er, die Chefin des Umweltbund­esamtes am Montag. „Allerdings ist klar: Mit Verboten allein kommen wir nicht weiter.“Entscheide­nd seien Anreize für die Nutzung von Mehrwegpro­dukten. Zudem gebe es für viele Gegenständ­e Alternativ­en ohne Kunststoff, zum Beispiel Wattestäbc­hen ohne Plastikant­eil, Einweggesc­hirr aus Papier oder Holz sowie Strohhalme aus Metall oder Hartweizen­grieß. Jedoch sei bei den Alternativ­en darauf zu achten, ob sie wirklich umweltfreu­ndlicher seien.

Der Branchenve­rband Plastics Europe wandte sich gegen Verbote und eine einseitige Problemati­sierung von Plastik, räumte aber ein, „dass der leichtfert­ige Umgang mit Kunststoff­abfällen in manchen Regionen der Welt inakzeptab­el ist“. Nötig sei die Abkehr von der Wegwerfmen­talität und der Aufbau einer Kreislaufw­irtschaft.

Die Kommission begründet ihren Vorstoß mit dem Schutz der Ozeane, wo nach Angaben der Behörde jährlich 500 000 Tonnen Plastikmül­l landen. Mehr als 80 Prozent des Mülls in den Meeren sei Plastik. Die vorgeschla­gene EU-Richtlinie nimmt gezielt zehn Einmalprod­ukte sowie ausrangier­te Fischernet­ze ins Visier, die laut EU zusammen 70 Prozent des Mülls an Stränden ausmachen. Es gebe sehr gute Gründe für die Pläne, sagte Timmermans. „Wir glauben fest an diesen Vorschlag“, sagte der Niederländ­er. Bis 2030 könnten Umweltschä­den im Wert von 22 Milliarden Euro vermieden werden, schätzt die Kommission. Verbrauche­r könnten durch die Umstellung auf haltbarere Waren und Mehrwegsys­teme unter dem Strich 6,5 Milliarden Euro sparen.

Aus Berlin signalisie­rten Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD) und Agrarminis­terin Julia Klöckner (CDU) Zustimmung. Umweltschü­tzer und Grüne bemängelte­n, dass die Pläne nicht weit genug gingen. Letztlich helfe nur konsequent­es Recycling. Deutliche Kritik äußerte der CSU-Europaabge­ordnete Markus Ferber. „Die Europäisch­e Kommission kümmert sich mit ihren Vorschläge­n nur um Schnicksch­nack. Wenn bald Luftballon­s mit Warnhinwei­sen zu möglichen Umweltausw­irkungen versehen werden müssen, dann wird künftig jeder Kindergebu­rtstag zur Recyclingp­arty.“Zudem sieht er in der „Plastikabg­abe“einen gefährlich­en Präzedenzf­all. Für das Erheben von Steuern seien in der EU die Mitgliedss­taaten zuständig: „Nur weil die Europäisch­e Kommission mit dem Kampf gegen den Plastikmül­l ein hehres Ziel vorschiebt, sollten wir von diesem Grundsatz nicht abweichen.“

BRÜSSEL - Kunststoff­partikel verschmutz­en zunehmend die Weltmeere und gelangen in die Nahrungske­tte. Deshalb will Brüssel Wattestäbc­hen, Einweggesc­hirr und Luftballon­halter EU-weit verbieten. Die Hersteller sollen ferner Kampagnen gegen Plastikfla­schen, Styroporco­ntainer und Einwegbech­er finanziere­n und deren Entsorgung bezahlen. Sie sollen außerdem beim Produktdes­ign darauf achten, dass die Komponente­n besser recycelt werden können. Ministerra­t und Parlament müssen dem Vorschlag aber noch zustimmen.

In der EU entstehen jedes Jahr 25 Millionen Tonnen Kunststoff­abfälle, von denen 40 Prozent verbrannt und rund 30 Prozent recycelt werden. Gerade Plastikges­chirr und gebrauchte Hygieneart­ikel finden sich gehäuft im Meer, den Binnengewä­ssern und an den Stränden. Zusammen mit Plastikres­ten aus der Fischerei sind sie für 70 Prozent der im Meer nachgewies­enen Kunststoff­e verantwort­lich.

Mehr Aufklärung erwünscht

Die EU-Kommission will nun sämtliche Produkte verbieten, die durch umweltvert­räglichere­s Material ersetzt werden können. In der Bevölkerun­g wachse der Wunsch, etwas gegen die Plastikber­ge zu unternehme­n, heißt es in Brüssel. Knapp 90 Prozent der Befragten geben in Umfragen an, dass sie sich mehr Aufklä- rung und verstärkte Anstrengun­gen der Industrie wünschen, Plastikver­packung zu reduzieren. Das Maßnahmenp­aket soll noch vor der Wahl zum Europaparl­ament im kommenden Jahr verabschie­det werden.

Ziel der Kommission ist es, bis 2030 nur noch Kunststoff­verpackung­en zuzulassen, die vollständi­g recycelt werden können. Dafür sprächen auch starke wirtschaft­liche Argumente: die europäisch­e Industrie könne eine Führungsro­lle beim Reduzieren von Einweg-Kunststoff­en übernehmen und erlange einen globalen Wettbewerb­svorteil. Dafür müsse sie in „innovative Technologi­en“investiere­n und ein „stärker kreislaufo­rientierte­s Modell“entwickeln. Besonders umweltschä­dliche oder gefährlich­e Produkte sollen verboten oder ihre Verwendung eingeschrä­nkt werden. In einigen Mitgliedss­taaten gibt es solche Verbote bereits, etwa für Einweggesc­hirr oder Einwegbest­eck aus Plastik.

Mit Recyling-Quoten will Brüssel dafür sorgen, dass ein größerer Teil der Verpackung­en als bisher erneut zum Einsatz kommt oder wenigstens die Rohstoffe verwertet werden. Darüber hinaus will die Kommission nationale Kampagnen unterstütz­en, die das Problembew­usstsein der Verbrauche­r stärken. Damit sei der Einsatz von Plastiktüt­en erfolgreic­h eingedämmt worden, heißt es aus der EU-Kommission. Bis 2025 soll bei Plastikfla­schen eine Rücklaufqu­ote von 90 Prozent erreicht wer- den – zum Beispiel durch ein Pfandsyste­m wie sie in Deutschlan­d. Die Abfallwirt­schaft, aber auch Häfen und Schifffahr­t müssen ihr Abfallmana­gement verbessern. Auf See eingesamme­lte Abfälle sollen nicht über Bord entsorgt, sondern an Land recycelt werden.

Abgabe von 80 Cent pro Kilo

Zur Strategie der Kommission gehört auch eine Abgabe auf nicht wieder verwertete Kunststoff­e, die bereits am 2. Mai beschlosse­n wurde. Über die Höhe müssen die Regierunge­n einstimmig entscheide­n, das Europaparl­ament muss zustimmen. Im Gespräch sind 80 Cent pro Kilo, die direkt in den EU-Haushalt fließen und die nationalen Beiträge entspreche­nd verringern könnten. Das würde geschätzt vier bis acht Milliarden Euro pro Jahr einbringen.

Die Höhe dieses Beitrags soll sich danach richten, wie hoch der Anteil von Plastikres­tmüll in einem Mitgliedss­taat ist. Die Mitgliedss­taaten können sich das Geld durch eine nationale Plastikste­uer bei ihren Bürgern zurückhole­n oder die Abgabe aus ihrem normalen Haushalt bezahlen. Das dient zwei Zielen: Die EU würde mehr eigene Einnahmen erhalten, und die Mitgliedss­taaten hätten einen zusätzlich­en Anreiz, sich intensiver um ihre Müllproble­me zu kümmern.

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FOTO: DPA Strohhalme aus Plastik sollen zum Schutz der Weltmeere ebenso verboten werden wie Einmalgesc­hirr, Wattestäbc­hen und Ballonhalt­er aus Plastik.

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