Augsburg setzt auf Gratis-Nahverkehr
Die bayerische Stadt führt den kostenlosen Nahverkehr in der Innenstadt ein
AUGSBURG (sz) - Die Stadt Augsburg will den öffentlichen Personennahverkehr in ihrer Innenstadt grundsätzlich kostenlos anbieten. In der „City-Zone“werden Busse und Straßenbahnen spätestens 2020 gratis fahren – das sind acht Haltestellen zwischen Hauptbahnhof, Theater und einigen anderen Knotenpunkten der Innenstadt. Bereits im Februar hatte die Bundesregierung GratisÖPNV in anderen Städten als Pilotprojekt ins Spiel gebracht – und hatte dafür Kritik geerntet.
AUGSBURG - Gar kein Ticket mehr nötig: Die bayerische Stadt Augsburg prescht vor und will den Öffentlichen Personennahverkehr in ihrer Innenstadt grundsätzlich kostenlos machen. Mitte 2019, spätestens 2020, soll man dort Bus und Straßenbahn nutzen können, ohne irgendeinen Fahrschein kaufen zu müssen. Das Angebot sei Teil der Augsburger „Agenda für Mobilität“, erklärt Walter Casazza, Geschäftsführer der Stadtwerke Augsburg. Mit ihr habe sich die Stadt vorgenommen, Fahrverbote zu vermeiden und „umweltfreundlicheres Verkehrsverhalten“zu fördern. Ein Vorbild?
Schon im Februar hatte die Bundesregierung den Gratis-ÖPNV ins Spiel gebracht. In einem Brief an EUUmweltkommissar Karmenu Vella schrieb sie, man denke über die Idee mit Ländern und Kommunen nach – für weniger Autos und bessere Luft. In vielen deutschen Städten werden Schadstoffgrenzwerte überschritten, die EU fordert längst, mehr dagegen zu tun. Doch die fünf Städte, in denen das getestet werden sollte – Herrenberg, Reutlingen und Mannheim in Baden-Württemberg, Bonn und Essen in Nordrhein-Westfalen – winkten ab. Zu teuer.
Dedy: Frage der Finanzierung
Der Betrieb muss irgendwie bezahlt werden. „Fast 12,8 Milliarden Euro nahmen die deutschen Nahverkehrsunternehmen 2017 durch Fahrgelder ein“, rechnet der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen vor. Und schon heute drängelten sich die Fahrgäste „überall in Bussen und Bahnen“. Der Verband warnt: „Ein kurzfristiger, sprunghafter Fahrgastanstieg würde die vorhandenen Systeme vollständig überlasten.“Zunächst müsse darum Geld in neue Busse, Bahnen, Infrastruktur gesteckt werden.
Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, sagt es so: „Wir gucken mit großem Interesse auf Versuche, kleinräumig vergünstigte oder kostenlose Nahverkehrsangebote einzuführen, so wie jetzt in Augsburg.“In der Vergangenheit gab es in Deutschland nur ein paar Pilotprojekte, wie etwa in Tübingen, wo die Einwohner vier Monate lang jeden Samstag kostenlos den ÖPNV nutzen konnten. Nur, meint Dedy weiter, wer den GratisNahverkehr „großflächig“wolle, müsse sagen, wie das „konkret vor Ort finanziert werden soll“.
Augsburg schreckt die Geldfrage allerdings nicht ab. Die Stadtwerke und die Stadt Augsburg als Gesellschafter würden Fördergelder beantragen und für den Eigenanteil, versichert Casazza, „ein tragfähiges Finanzierungskonzept entwickeln“. Bleibt eine andere Frage: Hilft das Augsburger Modell wirklich im Kampf gegen den Dreck in der Luft?
Denn: Nicht in ganz Augsburg, sondern nur in der „City-Zone“werden Busse und Straßenbahn gratis fahren. Das sind acht Haltestellen zwischen Hauptbahnhof, Theater, Rathausplatz und einigen anderen Knotenpunkten in der Innenstadt. Das sei dann doch dem Geld geschuldet, meint Casazza: „Die Erlösminderungen durch die kostenlose In- nenstadtzone müssen sich in einem verkraftbaren Rahmen halten.“Doch zusammen mit einem Kurzstreckenticket zu einem sehr günstigen Preis (vier Haltestellen für einen Erwachsenen maximal 1,45 Euro) erweitere sich der Radius. „Somit wird die Maßnahme eine weit größere Wirkung zum Schutz der Umwelt entfalten.“
Lottsiepen: „Problemverlagerung“
Gerd Lottsiepen vom Verkehrsclub Deutschland meint: „Wer nur die Augsburger Innenstadt entlastet, verlagert das Problem an den Stadtrand.“Dort suchten Autofahrer dann nach Parkplätzen, sie ließen den Wagen aber nicht zuhause stehen. Darum gehe es aber: „Man muss von zuhause zu Fuß oder mit dem Rad bequem zur Haltestelle fahren können, wo der Bus oder die Bahn in guter Taktung in die Stadt fährt.“Zugleich müsse Autofahrern das Leben schwerer gemacht werden, etwa mit höheren Gebühren fürs Parkhaus. Lottsiepen hält auch nichts vom Gratis-ÖPNV. „Im Kapitalismus, den kann man kritisieren oder nicht, wird nur das als Wert geschätzt, das auch etwas kostet.“
Nicht nur Lottsiepen guckt vor allem nach Wien. Auch der Mobilitätsforscher Weert Canzler vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung meint, die österreichische Hauptstadt mache es in dem Fall „richtig“. Dort gibt es seit 2012 ein 365-Euro-Jahresticket, ist der ÖPNV also nicht umsonst, aber günstig. Und mittlerweile gibt es mehr Jahreskarten als Autos. Canzler meint allerdings auch: „Aber wenn eine Kommune sich einen zeitweisen Gratis-ÖPNV leisten will, um seine Bürger zum Probieren einzuladen, ist das natürlich zu begrüßen.“