Das Chaos dauert an
Italien steht vor Neuwahlen – Bis dahin soll eine Übergangsregierung das Land führen
ROM - In weniger als 24 Stunden hat Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella gleich zwei Regierungschefs empfangen. Nach dem Rücktritt des designierten Ministerpräsidenten Giuseppe Conte soll nun der Ökonom Carlo Cottarelli das Amt übernehmen.
In Italiens Innenpolitik geht es drunter und drüber. Die einen applaudieren Mattarella für dessen Höchstmaß an Verantwortung, die anderen sehen in ihm jemanden, der einen Staatsstreich durchgeführt habe. Sie fordern ein Amtsenthebungsverfahren für den Staatspräsidenten.
Am Montag beauftragte der Staatspräsident den Wirtschaftsfachmann Carlo Cottarelli mit der Bildung einer nicht politischen Übergangsregierung aus Fachleuten. Diese Übergangsregierung soll, geht es nach Mattarella, bis Anfang 2019 im Amt bleiben. Sie soll nicht nur das Haushaltsgesetz für das kommende Jahr verabschieden, sondern auch ein neues Wahlgesetz, das endlich klare Mehrheiten schaffen soll. Doch die rechte und ausländerfeindliche Lega, die populistische Fünf-Sterne-Bewegung M5S und auch Silvio Berlusconis Forza Italia erklärten gleich, dass sie einer solchen Regierung Cottarelli nicht das Vertrauen im Parlament aussprechen werden. Es handle sich, so Lega-Chef Matteo Salvini, „nicht um eine demokratisch gewählte Regierung“.
Das bedeutet, dass Cottarelli, sobald ihm nicht das Vertrauen einer Mehrheit der Abgeordneten ausgesprochen wird, von seinem Amt zurücktreten muss. Er wird dann die Regierungsgeschäfte bis zu möglichen Neuwahlen weiterführen. Es ist be- reits die Rede von Wahlen in der zweiter Septemberhälfte.
Zuvor hatte der erste der beiden designierten Regierungschefs, Giuseppe Conte, sein Amt niedergelegt. Am Sonntagabend präsentierte er dem Staatspräsidenten Mattarella seine Ministerliste. Dieser war mit allen Vorschlägen einverstanden, bis auf einen. Paolo Savona sollte seiner Meinung nach nicht Wirtschafts- und Finanzminister werden. Der parteilose Wirtschaftsexperte, der in den 1990er-Jahren bereits Minister war, hatte sich in den letzten Jahren zu einem Gegner der Europäischen Union und des Euro entwickelt. Auch hatte er Deutschland als einen Staat bezeichnet, der „ähnlich dem Dritten Reich Europas Wirtschaftshegemon werden will“. Mattarella lehnte Savona als möglichen Minister ab.
Und das, obwohl sich die Chefs der beiden Parteien, Luigi Di Maio, 5Sterne-Bewegung M5S, und Matteo Salvini, Lega, die die neue Regierung stellen sollten, sich entschieden für Savona ausgesprochen hatten. Der Staatspräsident erklärte noch am Sonntagabend, dass er als „überzeugter Europäer und als Präsident eines der Gründungsstaaten der Union“die Verantwortung dafür trage, dass keine antieuropäischen Kräfte in der Regierung sitzen.
Umgehend wetterten die Protestpartei M5S und die Lega gegen Mattarella und bezeichneten ihn als, so Di Maio, „undemokratischen Repräsentanten europäischer Wirtschaftsinteressen“. Nach Ansicht der M5S hat Mattarella die Verfassung Italiens verraten und den Italienern eine demokratisch gewählte Regierung vorenthalten. Die Partei forderte die Absetzung des Staatspräsidenten. Silvio Berlusconis Forza Italia und die Sozialdemokraten sprachen hingegen Mattarella ihr volles Vertrauen aus.
Mehrheit lehnt Regierung ab
Eine höchst verzwickte politische Situation“, so die Tageszeitung „la Repubblica“, „die das Vertrauen in die letzten Reste der italienischen Stabilität erschüttern wird“. Das befürchtet auch der designierte Regierungschefs Cottarelli, und appellierte an alle Parteien, an einem Strang zu ziehen. Die Mehrheit aller Abgeordneten lehnt eine Übergangsregierung jedoch ab. Di Maio und Salvini erklärten, dass es bei den Neuwahlen „um eine Abstimmung über die Volksdemokratie Italiens gegen die Vorherrschaft von gewissen EU-Kreisen“gehen wird. Italien, so Salvini, „soll frei und kein Sklave und Knecht Europas sein“.
Unklar ist, wer beim Wahlkampf gegen wen antreten wird: die Lega und die M5S zusammen oder die Lega mit Berlusconis Forza Italia. Experten gehen davon aus, dass die Eurokritiker ein sehr hohes Ergebnis einfahren werden, weil jüngsten Umfragen zufolge eine satte Mehrheit der Italiener überzeugt ist, dass die EU Italien klein halte, und dass Italien ein Staat mit eingeschränkter Souveränität sei.