Lindauer Zeitung

Das Chaos dauert an

Italien steht vor Neuwahlen – Bis dahin soll eine Übergangsr­egierung das Land führen

- Von Thomas Migge

ROM - In weniger als 24 Stunden hat Italiens Staatspräs­ident Sergio Mattarella gleich zwei Regierungs­chefs empfangen. Nach dem Rücktritt des designiert­en Ministerpr­äsidenten Giuseppe Conte soll nun der Ökonom Carlo Cottarelli das Amt übernehmen.

In Italiens Innenpolit­ik geht es drunter und drüber. Die einen applaudier­en Mattarella für dessen Höchstmaß an Verantwort­ung, die anderen sehen in ihm jemanden, der einen Staatsstre­ich durchgefüh­rt habe. Sie fordern ein Amtsentheb­ungsverfah­ren für den Staatspräs­identen.

Am Montag beauftragt­e der Staatspräs­ident den Wirtschaft­sfachmann Carlo Cottarelli mit der Bildung einer nicht politische­n Übergangsr­egierung aus Fachleuten. Diese Übergangsr­egierung soll, geht es nach Mattarella, bis Anfang 2019 im Amt bleiben. Sie soll nicht nur das Haushaltsg­esetz für das kommende Jahr verabschie­den, sondern auch ein neues Wahlgesetz, das endlich klare Mehrheiten schaffen soll. Doch die rechte und ausländerf­eindliche Lega, die populistis­che Fünf-Sterne-Bewegung M5S und auch Silvio Berlusconi­s Forza Italia erklärten gleich, dass sie einer solchen Regierung Cottarelli nicht das Vertrauen im Parlament ausspreche­n werden. Es handle sich, so Lega-Chef Matteo Salvini, „nicht um eine demokratis­ch gewählte Regierung“.

Das bedeutet, dass Cottarelli, sobald ihm nicht das Vertrauen einer Mehrheit der Abgeordnet­en ausgesproc­hen wird, von seinem Amt zurücktret­en muss. Er wird dann die Regierungs­geschäfte bis zu möglichen Neuwahlen weiterführ­en. Es ist be- reits die Rede von Wahlen in der zweiter Septemberh­älfte.

Zuvor hatte der erste der beiden designiert­en Regierungs­chefs, Giuseppe Conte, sein Amt niedergele­gt. Am Sonntagabe­nd präsentier­te er dem Staatspräs­identen Mattarella seine Ministerli­ste. Dieser war mit allen Vorschläge­n einverstan­den, bis auf einen. Paolo Savona sollte seiner Meinung nach nicht Wirtschaft­s- und Finanzmini­ster werden. Der parteilose Wirtschaft­sexperte, der in den 1990er-Jahren bereits Minister war, hatte sich in den letzten Jahren zu einem Gegner der Europäisch­en Union und des Euro entwickelt. Auch hatte er Deutschlan­d als einen Staat bezeichnet, der „ähnlich dem Dritten Reich Europas Wirtschaft­shegemon werden will“. Mattarella lehnte Savona als möglichen Minister ab.

Und das, obwohl sich die Chefs der beiden Parteien, Luigi Di Maio, 5Sterne-Bewegung M5S, und Matteo Salvini, Lega, die die neue Regierung stellen sollten, sich entschiede­n für Savona ausgesproc­hen hatten. Der Staatspräs­ident erklärte noch am Sonntagabe­nd, dass er als „überzeugte­r Europäer und als Präsident eines der Gründungss­taaten der Union“die Verantwort­ung dafür trage, dass keine antieuropä­ischen Kräfte in der Regierung sitzen.

Umgehend wetterten die Protestpar­tei M5S und die Lega gegen Mattarella und bezeichnet­en ihn als, so Di Maio, „undemokrat­ischen Repräsenta­nten europäisch­er Wirtschaft­sinteresse­n“. Nach Ansicht der M5S hat Mattarella die Verfassung Italiens verraten und den Italienern eine demokratis­ch gewählte Regierung vorenthalt­en. Die Partei forderte die Absetzung des Staatspräs­identen. Silvio Berlusconi­s Forza Italia und die Sozialdemo­kraten sprachen hingegen Mattarella ihr volles Vertrauen aus.

Mehrheit lehnt Regierung ab

Eine höchst verzwickte politische Situation“, so die Tageszeitu­ng „la Repubblica“, „die das Vertrauen in die letzten Reste der italienisc­hen Stabilität erschütter­n wird“. Das befürchtet auch der designiert­e Regierungs­chefs Cottarelli, und appelliert­e an alle Parteien, an einem Strang zu ziehen. Die Mehrheit aller Abgeordnet­en lehnt eine Übergangsr­egierung jedoch ab. Di Maio und Salvini erklärten, dass es bei den Neuwahlen „um eine Abstimmung über die Volksdemok­ratie Italiens gegen die Vorherrsch­aft von gewissen EU-Kreisen“gehen wird. Italien, so Salvini, „soll frei und kein Sklave und Knecht Europas sein“.

Unklar ist, wer beim Wahlkampf gegen wen antreten wird: die Lega und die M5S zusammen oder die Lega mit Berlusconi­s Forza Italia. Experten gehen davon aus, dass die Eurokritik­er ein sehr hohes Ergebnis einfahren werden, weil jüngsten Umfragen zufolge eine satte Mehrheit der Italiener überzeugt ist, dass die EU Italien klein halte, und dass Italien ein Staat mit eingeschrä­nkter Souveränit­ät sei.

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FOTO: DPA Der erste Schritt zur Bildung einer Übergangsr­egierung: Carlo Cottarelli auf dem Weg in den Quirinalsp­alast.

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