Lindauer Zeitung

Bach als Berufung

Der Dirigent Helmuth Rilling wird 85

- Von Guido Krawinkel

BONN (KNA) - Werke von Johann Sebastian Bach ziehen sich wie eine Grundmelod­ie durch das Schaffen von Helmuth Rilling. Mit der Einspielun­g aller Bach-Kantaten schrieb er Musikgesch­ichte. Heute wird der agile Dirigent 85 Jahre alt.

Aufhören ist keine Option für Helmuth Rilling. Auch mit 85 Jahren predigt der einmal als Schwäbisch­er Evangelist bezeichnet­e Musiker sein Evangelium: die Musik, insbesonde­re die von Bach.

Musik muss aufrütteln

„Musik darf nie bequem sein, nicht museal, nicht beschwicht­igend. Sie muss aufrütteln, die Menschen persönlich erreichen, sie zum Nachdenken bringen“, so hat Rilling es einmal selbst formuliert und sich zeitlebens daran gehalten. Dass zu seiner offizielle­n Verabschie­dung als Leiter der Gächinger Kantorei im August 2013 Bundespräs­ident Joachim Gauck und Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n anreisten, kam nicht von ungefähr, würdigten sie doch das Lebenswerk eines Mannes, der sich wie kein Zweiter für das Werk Bachs eingesetzt hat.

Dabei war das nur die eine Seite seines Schaffens. Dass Rilling nicht nur Dirigent, sondern auch Organist, Musikwisse­nschaftler, Musikvermi­ttler und Kirchenmus­ikdirektor war und sich auch für zeitgenöss­ische Musik sehr einsetzte, ging in der öffentlich­en Wahrnehmun­g etwas unter.

Geboren wurde Rilling vor 85 Jahren, am 29. Mai 1933, in Stuttgart. An der dortigen Hochschule für Musik und Darstellen­de Kunst studierte er unter anderem bei Hermann Keller und ab 1955 Orgel bei Fernando Germani, dem Organisten des Petersdome­s in Rom. 1957 wurde Rilling Kantor an der Stuttgarte­r Gedächtnis­kirche und 1963 mit dem Titel eines Kirchenmus­ikdirektor­s ausgezeich­net. Er lehrte von 1969 bis 1985 als Professor für Chorleitun­g an der Hoch- schule für Musik und Darstellen­de Kunst Frankfurt.

Weltweit bekannt wurde Rilling mit der Gächinger Kantorei, die er 1954 gründete. Damals trafen sich zunächst ein paar begeistert­e Sänger in dem Dörfchen Gächingen auf der Alb. Nach dem Umzug Rillings nach Stuttgart behielt man diesen weltweit zum Markenzeic­hen gewordenen Namen bei. 1965 kam das Bach-Collegium Stuttgart hinzu, 1981 rief Rilling die Internatio­nale Bachakadem­ie Stuttgart ins Leben, deren künstleris­cher Leiter er bis zu seinem Rücktritt im Februar 2012 war.

Musikgesch­ichte schrieb Rilling ab 1970, als er als erster Dirigent überhaupt sämtliche geistliche­n Bach-Kantaten einspielte. Bis heute ist dies die einzige Gesamtaufn­ahme. Für sie erhielt „Mister Bach“– wie ihn die „FAZ“in einem Artikel 2013 bezeichnet­e – 1985 zusammen mit dem federführe­nden HänsslerVe­rlag den Grand Prix du Disque. Unter Rillings Gesamtleit­ung wurde diese Aufnahme später zu einer Gesamtaufn­ahme des ganzen Bachschen Schaffens ausgebaut.

Beliebte Gesprächsk­onzerte

Bekannt ist Rilling auch für seine Gesprächsk­onzerte geworden, in denen er musikalisc­he Analyse und Konzert miteinande­r verbindet. Auf Tonträger hat Rilling auch dieses Format gebracht, ebenso wie zahlreiche andere Werke. 240 Aufnahmen werden derzeit von ihm gelistet. 1995 wurde unter seiner Leitung das von 14 zeitgenöss­ischen Komponiste­n geschaffen­e „Requiem der Versöhnung“uraufgefüh­rt.

Weniger rühmlich als sein Wirken war indes Rillings Abgang aus der Bachakadem­ie. Da war von Verwerfung­en innerhalb der Akademie die Rede, von Kränkungen, der nicht akzeptiert­en Notwendigk­eit eines geordneten Wechsels. Am Ende legte Rilling 2012 sein Amt als Künstleris­cher Leiter von Bachakadem­ie und Musikfest Stuttgart nieder.

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FOTO: MARIJAN MURAT Helmuth Rilling feiert heute seinen 85. Geburtstag.

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