Der leise Leader
Toni Kroos ist bei der Mission Titelverteidigung ein Schlüsselspieler – Werner angeschlagen
EPPAN (SID/dpa) - Eine Passmaschine war er schon immer. Dennoch musste Toni Kroos beim FC Bayern um Wertschätzung kämpfen. Bei Real Madrid stieg er dagegen zum Weltstar auf. Und auch das deutsche Mittelfeld ist ohne den Ballverteiler Toni Kroos kaum vorstellbar. Dabei kommt der vierfache ChampionsLeague-Sieger ohne das Lautsprecher-Gehabe des klassischen Anführers aus. Mit norddeutscher Gelassenheit zieht der 28-Jährige nicht nur im Spiel, sondern auch abseits des Platzes die Fäden. Und so spricht Kroos mit ruhiger Stimme, während er seine eindeutige Botschaft formuliert. „Wir haben 2014 kaum Gegentore bekommen. Das war kein Zufall. In letzter Zeit haben wir deutlich mehr Gegentore bekommen. Das war auch kein Zufall“, sagte Kroos und forderte mit Blick auf die Mission WM-Titelverteidigung: „Wir müssen mit Hingabe verteidigen.“
Kroos darf kritisieren – und tut es
Und seine Worte werden gehört. Der Titelsammler genießt bei der Nationalmannschaft höchste Anerkennung. Daher darf er auch seine Mitspieler ungestraft kritisieren, wie nach der 0:1-Niederlage im Länderspiel gegen Brasilien.
Kroos hat gewisse Tendenzen bei der DFB-Auswahl erkannt, er will gegensteuern. Denn er ist sich sicher, „dass wir qualitativ mit der Mannschaft von 2014 auf Augenhöhe sind, wenn nicht sogar besser“. Im Spiel mit dem Ball sei man stärker als beim Titelgewinn in Brasilien: „Wenn wir das ohne Ball auch hinbekommen, dann haben wir gute Chancen. Aber da haben wir definitiv im Vergleich zu damals noch Luft nach oben.“
Kroos kann es einschätzen. Er weiß, was man für den Erfolg machen muss. Viermal hat er als einziger Deutscher die Königsklasse gewonnen, Weltmeister, dreimal deutscher Meister, einmal spanischer Champion. Joachim Löw gerät ins Schwärmen, wenn es um seinen Ballmagneten geht. „Erfolgsorientiert. Zielgerichtet. Absoluter Schlüsselspieler“, lautet das Urteil des Bundestrainers. Kroos sei unheimlich gereift und ruhe in sich. Löw imponiert besonders die Nervenstärke: „Vor einem Champions-Leagueoder WM-Finale ist er genauso ausgeglichen wie vor einem Gruppenspiel. Das macht ihn so besonders.“Diese Qualitäten benötigt die DFBElf auch in Russland.
Denn die Konkurrenz hat zugelegt. „Alle Top-Nationen sind deutlich besser als 2014. Frankreich hat jetzt eine ganz andere Qualität. Brasilien ist zwei Klassen besser, Spanien ist besser“, sagte Kroos. Nach fünf Länderspielen ohne Sieg müsse man daher erst einmal mit „ein bisschen Demut an die Sache herangehen“, sagte Kroos vor der WM-Generalprobe gegen Saudi-Arabien (19.30 Uhr/ARD), bei der Löw auf Mesut Özil verzichten muss. „Er hat gegen Österreich einen Schlag bekommen. Das Knie ist etwas dick geworden. Die Ärzte hatten ihm zwei, drei Tage Pause verordnet“, so der Bundestrainer zum ARD-Hörfunk. Ein Einsatz sei zwar möglich, „aber wir gehen das Risiko nicht ein“. Löw berichtete zudem, dass sich Angreifer Timo Werner im Training „leicht verletzt“habe. „Er hat einen Schlag bekommen. Es sieht aber so aus, als ob es nicht so schlimm ist.“Möglicherweise könne der gebürtige Stuttgarter gegen Saudi-Arabien eine Halbzeit spielen.
Kroos warnt derweil davor, sich schon mit den Gegnern im weiteren WM-Verlauf zu beschäftigen: „Die letzten Monate haben gezeigt, dass wir uns erst einmal die Gruppe anschauen sollten. Da müssen wir erst einmal weiterkommen.“Viel wird von ihm abhängen. Er muss das Spiel ordnen und stellt sich dieser Verantwortung. „Von meinen Charaktereigenschaften bin ich relativ entspannt. Ich bin aber von meinen Qualitäten überzeugt“, so Kroos gewohnt gelassen und doch ohne Zweifel.