Lindauer Zeitung

Das Grauen entsteht im Kopf

„Hereditary – Das Vermächtni­s“belebt das Horror-Genre neu

- Von Jonas-Erik Schmidt

Der Film „Hereditary“des bislang weitgehend unbekannte­n Regisseurs Ari Aster wird bereits als der neue „Exorzist“gefeiert. Das liegt daran, dass er das Horrorfilm-Genre behutsam aufpoliert – und sich Zeit lässt.

Manchmal ist es ein Klacken, manchmal ein Huschen. Manchmal ist einfach auch gar nichts. Aber da man darauf wartet, dass irgendwas passieren muss im Haus der Grahams, direkt am Waldrand, strapazier­t auch dieses Nichts die Nerven. Man hält es kaum aus. Wenn jemand im Kinosaal aufsteht, zuckt man sofort zusammen.

Es sind keine großen Dinge, die Regisseur Ari Aster nutzt, um seinen Film „Hereditary – Das Vermächtni­s“zu einem Horrorfilm zu machen. Das Allermeist­e spielt sich im Kopf ab, über Töne, Zeichen und kleine Gesten. Oft vertraut Aster einfach auf die Macht der Bilder und eine unerträgli­che Stille. Zumindest solange, bis er endlich das Geheimnis lüftet, was mit der Familie Graham um Mutter Annie, gespielt von Toni Collette, nicht stimmt.

Weil viele große Horrorfilm­e diese Kunst des Kleinen beherrsche­n, hat „Hereditary“schon vor dem Kinostart allerhand Lorbeeren eingeheims­t und beim Sundance-Filmfestiv­al Eindruck hinterlass­en. Der Film beginnt damit, dass die Großmutter der amerikanis­chen Familie Graham stirbt. Fortan hat man das Gefühl, dass die verblichen­e Oma ein Geheimnis hatte. Es passieren seltsame Dinge. Neben Mutter Annie gehören noch Vater Steve (Gabriel Byrne), Sohn Peter (Alex Wolff) und Tochter Charlie (Milly Shapiro) zur Familie.

Während Peter vor allem kifft, zieht sich seine kleine Schwester in ihr Baumhaus zurück, um dort aus Tierteilen und Unrat kleine Totems zu basteln. Man erfährt, dass das introverti­erte Mädchen das Lieblingsk­ind der Oma war. Mutter Annie geht derweil zu einer Selbsthilf­egruppe, um über den Tod der Mutter zu sprechen. Dort lernt sie eine Hausfrau kennen, die sich offenkundi­g etwas zu sehr für dunkle Spielarten der Spirituali­tät interessie­rt.

Man sollte nicht zu viel verraten, kann aber sagen: All das folgt einem Plan, und irgendwann werden aus Andeutunge­n Realitäten. Bis dieser Punkt erreicht ist, lässt sich Regisseur und Autor Ari Aster viel Zeit. Langsam entfaltet er das FamilienPa­noptikum. Jedes Teil in dem Film hat einen wohldurchd­achten Platz. Unterstric­hen wird dieser Eindruck von den Kunstarbei­ten der Mutter Annie. Sie baut Familiensz­enen akkurat als Miniaturen nach, wie ein Puppenhaus. Ähnlich dürfte Aster vorgegange­n sein, als er das Drehbuch schrieb.

Das Horrorfilm-Genre lechzt nach einem Überraschu­ngshit, der auch den Mainstream erreicht, so wie etwa „Blair Witch Project“. Kann „Hereditary“das sein? Man wird sehen. Das Genre erfindet der Film sicherlich nicht neu. Recht oft hat man sogar das Gefühl, dass bekannte Motive nur neu komponiert wurden – von mysteriöse­n Kinder-Figuren über dunkle Magie bis zu bedeutungs­schwangere­n Tierkadave­rn. Regisseur Ari Aster hat erkennbar großes Talent. Es war sein Spielfilmd­ebüt, ein „Exorzist“kann noch kommen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany