Pfleger illegal in Heimen: Chefs drohen Strafen
Soziales Personalnotstand mit Freiberuflern zu beheben, wird als Scheinselbstständigkeit verfolgt
KEMPTEN/OBERALLGÄU (jan) - Die Staatsanwaltschaft Kempten verfolgt hartnäckig Leiter von Pflegeeinrichtungen. Diese hatten aufgrund akuter Personalnot selbstständige Pfleger illegal beschäftigt. Am Dienstag wurde die Heimleiterin des Weitnauer Seniorenheims St. Vinzenz zwar vom Landgericht Kempten in zweiter Instanz vom Vorwurf der Veruntreuung freigesprochen, die Staatsanwaltschaft hat dagegen aber bereits das Rechtsmittel der Revision eingelegt. Anklage erhoben wurde zudem gegen die Leitung der Allgäu-Pflege, ermittelt wird gegen weitere Heime und das Klinikum Kempten. Dessen Aufsichtsratsvorsitzender Gebhard Kaiser will die juristische Auseinandersetzung jetzt zu einer politischen machen und Ministerpräsident Markus Söder zum Eingreifen auffordern.
Darum geht es in der Sache
Viele Pflegeheime finden nicht mehr genügend Personal, um die gesetzlich vorgeschriebene Fachkräftequote bei der Betreuung alter Menschen zu erfüllen. Eine Reihe von Einrichtungen engagierte in größter Not Freiberufler, um Lücken in den Dienstplänen zu füllen. Im jetzt verhandelten Fall habe sogar die Heimaufsicht der Regierung von Schwaben die Kontaktdaten eines Zusammenschlusses von selbstständigen Pflegekräften an die Heimleiterin weitergeleitet, sagte deren Verteidiger, Professor Ronald Richter aus Hamburg.
Der juristische Vorwurf
Freiberufler anstelle von Festangestellten zu beschäftigen, wurde vom Zoll als strafrechtlich zu verfolgende Scheinselbstständigkeit eingestuft. Es geht unter anderem um Sozialversicherungsabgaben. Obwohl die Freiberufler diese für sich selbst abführten, müssen die Heime der Rentenversicherung hohe Beträge nachzahlen. In Weitnau geht es um die vergleichsweise geringe Summe in Höhe von 52 000 Euro, beim Klinikum für die RehaEinrichtung in Sonthofen um Hunderttausende.
Der aktuelle Prozess
Die 61-jährige Heimleiterin wurde vom Vorwurf des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt freigesprochen, teilte Landgerichts-Vizepräsident Alfred Reichert mit. Ihr sei das Verbot, Freiberufler einzusetzen, gar nicht bekannt gewesen. Zudem habe lediglich ein Vertrag mit einer Gesellschaft bestanden, zu der sich die Selbstständigen zusammengeschlossen haben. Jeder Einzelne ha- be aber ordnungsgemäß Sozialbeiträge abgeführt. Vor allem aber, sagte Professor Richter, sei die Heimleiterin formal gar nicht die Arbeitgeberin der Beschäftigten und könne daher auch nicht haftbar gemacht werden. Diese seien bei einer Stiftung angestellt.
Wie geht es weiter?
Der Arbeitgeberaspekt macht den aktuellen Freispruch zum Einzelfall, sagte der Verteidiger. In den anderen Ermittlungsverfahren seien die Beschuldigten tatsächlich die Verantwortlichen. Oberallgäuer Politiker verstehen trotzdem nicht, dass die Staatsanwälte weiter massiv auf Verurteilungen drängen. „Es ist absurd, den Heimleitern zu unterstellen, vorsätzlich Abgaben unterschlagen zu haben“, sagte Landrat Anton Klotz. Noch deutlicher wird Klinik-Vertreter Kaiser: „Jetzt muss Ruhe sein.“In den Pflegeheimen versuche man, trotz Personalnot Hilfsbedürftige zu versorgen „und in dieser Situation führen staatsanwaltschaftliche Aktivitäten nur zu Frust“. Kaiser will sich jetzt an den Landtagsabgeordneten Thomas Kreuzer und auch an den Ministerpräsidenten wenden: „Die Gerichte sind unabhängig, doch die Staatsanwaltschaften nicht. Und die sollten schon eine einheitliche Linie verfolgen. Die Kemptener sind die Einzigen, die diesen Sachverhalt mit Akribie verfolgen.“Klotz hat das bereits an den Justizminister herangetragen, dieser „war aber nicht sehr willens, sich einzumischen.“