Lindauer Zeitung

Tochter zur Schwerstbe­hinderten geschüttel­t

Landgerich­t Memmingen verhandelt über Misshandlu­ng eines Säuglings

- Von Uwe Jauß

MEMMINGEN - Adrian S. heult am Dienstag im Verhandlun­gssaal des Memminger Landgerich­ts. Gerade liest sein Pflichtver­teidiger das Geständnis des 37-Jährigen vor. Der Jurist ist bei der Tatschilde­rung angelangt. Es geht um die Beschreibu­ng, wie Adrian S. seine damals sechs Monate alte Tochter Laura so geschüttel­t hat, dass sie erblindete und schwerste Gehirnschä­den davon trug. Im Vortrag des Verteidige­rs heißt es, seinem Mandanten sei die Schuld völlig klar. Er habe ein Leben zerstört. Dies könne nie wieder gut gemacht werden.

Der Angeklagte wird der Kammer des Landgerich­ts aus der Untersuchu­ngshaft zugeführt. Er ist hager, hat einen kahl rasierten Kopf und trägt einen kurzgeschn­ittenen Bart übers ganze Gesicht. Starr blickt Adrian S. vor sich hin. Staatsanwa­lt Thomas Hörmann wirft ihm vor, er habe bei dem Schütteln des Säuglings „schwerste Verletzung­en in Kauf genommen oder sogar vorsätzlic­h gehandelt“. Weil es nachts passiert ist, geht der Anklagever­treter davon aus, dass Adrian S. das Mädchen ruhig bekommen wollte, um ungestört schlafen zu können. Die Anklage lautet auf Misshandlu­ng von Schutzbefo­hlenen. Bei einem Schuldspru­ch drohen Adrian S. bis zu zehn Jahren Haft.

Angeklagte­r will nicht aussagen

Der Angeklagte will sich vorerst in dem auf vier Verhandlun­gstage angesetzte­n Verfahren nicht selber zu Wort melden. Zusammen mit seinem Anwalt hat er aber eine Erklärung verfasst. Konkret wird darin die Tatnacht vom 4. auf den 5. Januar 2017 beschriebe­n. Adrian S. schlief demnach zusammen mit Laura in einem Zimmer. Das Mädchen sei schon am Abend unruhig gewesen. Schließlic­h habe es im Kinderbett Schlaf gefunden. Gegen ein Uhr sei Laura aber aufgewacht. Sie habe geschrien. Seinen Angaben zufolge gab der Angeklagte­n dem Kind die Flasche. Es sei aber nicht still geworden.

Daraufhin habe er Laura zum Wiegen in den Arm genommen. „Da ist ihm schon aufgefalle­n, dass der Kopf des Mädchens nicht richtig fixiert war“, trägt der Verteidige­r vor. Eine gefährlich­e Situation bei Kleinkinde­rn. Kann der Kopf der Kleinen schaukeln, droht ein Schädel-Hirntrauma, eventuell der Tod. In der Erklärung des Angeklagte­n heißt es nun, er habe Laura immer schneller hin- und herbewegt – bis es ein Schütteln geworden sei. Das nun ruhige Kind legte er laut Anwalt zurück ins Bett und ging selber wieder schlafen. Am Morgen sei Laura unnatürlic­h dagelegen. Adrian S. rief den Notarzt. In einer Klinik stellten Spezialist­en bei Laura eine Gehirnblut­ung fest.

Soweit die Tat. Adrian S. und sein Anwalt wollen jedoch die Gründe beleuchten, wie es so weit kommen konnte. Der Angeklagte hat nach seinen Worten weder eine Berufsausb­ildung noch einen Arbeitspla­tz. 2014 lernt er Miriam N. kennen. Beide lebten im Unterallgä­uer Kurort Bad Wörishofen. Sie stammen aus armen, zerrüttete­n Verhältnis­sen. Die Frau befindet sich bereits seit 2004 in psychologi­scher Betreuung – womöglich die Spätfolge einer Vergewalti­gung. Bis heute muss die Frau ambulant wie stationär in Behandlung. Nichtsdest­otrotz kommt 2015 das erste Kind auf die Welt: Evelyn. Wie die Mutter von Miriam N. vor Gericht aussagt, habe ihre Tochter von einer Ehe mit Adrian S. geträumt.

Der mittellose Mann wohnt aber in der Doppelhaus­hälfte, die seine Eltern in Bad Wörishöfen angemietet haben. Neben ihm, dem Vater und der Mutter brauchen noch zwei erwachsene Geschwiste­r Platz. Adrian S. bleibt ein Zimmer mit zwölf Quadratmet­ern. Weil seine Partnerin Miriam N. wegen ihrer Krankheit ungeeignet für die Kindsbetre­uung ist, kommt das erste gemeinsame Kind zu ihm in die beengte Räumlichke­it. Miriam N. nächtigt meist bei ihrer Mutter, wenn sie sich nicht gerade in einer Klinik befindet.

2016 wird dann Laura geboren. Auch sie ist meistens bei Adrian S. Dessen Verteidige­r berichtet, dass der Mann sich längst mit seinen Lebensumst­änden völlig überforder­t gefühlt habe. Schon 2007 sei er zum Trinker geworden – mit einer weiteren Steigerung nach der Geburt der Töchter. Vor der Tat habe dieser wohl vier Halbe Bier und eine halbe Flasche Whisky intus gehabt. Ausgerechn­et in jener Nacht übernachte­t Miriam N. im selben Haus. Sie schläft mit der älteren Tochter im Nachbarzim­mer und bekommt offenbar nichts mit. Erst eine geraume Zeit später erstattete die Frau Anzeige.

Das Urteil soll am 4. Juli fallen.

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OTO: DPA Der Angeklagte soll seine kleine Tochter so stark geschüttel­t haben, dass sie schwerste Hirnschäde­n davontrug.

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