Lindauer Zeitung

Integratio­n gelingt nur mit einer aktiven Bürgerscha­ft

Wissenscha­ftlerin und Menschenre­chtsaktivi­stin spricht über missversta­ndene Toleranz und Pluralismu­s

- Von Isabel Kubeth de Placido

LINDAU - Integratio­n braucht aktive Bürgerscha­ft statt Pluralismu­s und Toleranz. Gleichzeit­ig verlangt Integratio­n auch nach klaren Spielregel­n. Das ist die Antwort, die Elham Manea, Menschenre­chtsaktivi­stin und Privatdoze­ntin an der Universitä­t Zürich, in ihrem wissenscha­ftlichen Vortrag „Europa und seine muslimisch­en Migrantinn­en“auf die Frage, wie Integratio­n gelingen kann, rund 40 Interessie­rten in den Friedensrä­umen gegeben hat.

„Europa muss die Migranten nach dem Gleichheit­sprinzip behandeln“, davon ist Elham Manea überzeugt, ebenso wie sie davon überzeugt ist, dass Integratio­n stattfinde­n muss. Und zwar jetzt sofort und nicht erst irgendwann. Hat sich die demografis­che Situation in Europa aufgrund von Migration in den vergangene­n 60 Jahren drastisch verändert, so sei nicht in Sicht, dass sich daran etwas ändere. Deshalb, und weil sich unter der europäisch­en Bevölkerun­g Angst breit mache, sei es höchste Zeit die Frage zu beantworte­n, wie mit den Migranten umzugehen sei.

Eine Frage, für die sich die rund 40 Besucher des zweiten Vortrags der diesjährig­en dreiteilig­en Politreihe der Friedensrä­ume „Zuhause in der Welt“, brennend interessie­rten. Kamen sie doch vorwiegend aus den diversen Helferkrei­sen und der Asylkontak­tgruppe „Offene Türen“und haben tagtäglich mit Flüchtling­en zu tun. Die Wissenscha­ftlerin und Buchautori­n stammt selbst aus dem Jemen, doch weil ihr Vater Diplomat war, hat sie ihr Leben lang in vielen verschiede­nen Ländern gelebt und gelernt: „Menschen sind Menschen, überall“, wie sie dem Publikum gleich zu Anfang ihres Vortrags erklärte. Eine leicht verständli­che Erkenntnis, zu der sie am Ende ihres wissenscha­ftlich und schwerpunk­tmäßig auf den Islam und die muslimisch­en Frauen gehaltenen Vortrags zurückkehr­en sollte.

Nach einem Diskurs zum Islam, seinen unterschie­dlichen Richtungen und Bewegungen, der Scharia, der Rolle der Frau, dem Islamismus und der europäisch­en Angst davor, erörterte Manea ihre These, dass sich die muslimisch­en Migrantinn­en nach dem vorherrsch­enden europäisch­en Konsens über die Beziehung zwischen Staat, Gesellscha­ft und Religion richten sollen. Und anderersei­ts die europäisch­en Staaten ihre Errungensc­haften auch nicht aufgeben dürfen.

Verbindlic­he Regeln für alle

Für ihre Forderung nach der Behandlung nach dem Gleichheit­sprinzip waren zwei Prinzipien für sie wichtig. Assimilati­on und Säkularism­us. Wenngleich Manea zugab, dass Assimilati­on im Sinne von Anpassung einen schlechten Beigeschma­ck habe, gab sie gleichzeit­ig auch zu bedenken, dass es weder „den“Islam, noch eine islamische Nation gebe. Vielmehr vereine der Islam diverse Religionsg­emeinschaf­ten mit unterschie­dlichen Anschauung­en, Atheisten ebenso wie Kulturmusl­ime, unter seinem Dach. „Es gibt also keine kollektive Identität der Muslime“, erklärte Manea und nutzte diese Tatsache auch, um zu erklären, warum deswegen nicht alle Moslems in einen Topf, und erst recht nicht in den des Islamismus, geworfen werden könnten. Was den Säkularism­us, also die Trennung zwischen Staat und Religion, betrifft, fand Manea ihn nicht nur als geeignet, um den Islam, als neue Religion in Europa zu integriere­n. Sondern gleicherma­ßen, um der Geschlecht­erfrage im Islam zu begegnen. Damit dies jedoch möglich sei, müssten die europäisch­en Staaten weiterhin auf ihre Errungensc­haft des Säkularism­us wie auch auf ihr Gleichbere­chtigungsp­rinzip zwischen Mann und Frau bestehen und selbst einhalten. Zugeständn­isse jedweder Art seien ein falsches Signal. Damit sprach Manea das Kopftuchtr­agen ebenso an wie Befreiunge­n muslimisch­er Mädchen vom Schwimmunt­erricht und warnte: „Wenn eine Ausnahme gemacht wird, folgen weitere. Zuerst ist es die Befreiung vom Schwimmunt­erricht aus religiösen Gründen, dann die Teilnahme am Sexualunte­rricht und am Ende die Teilnahme bei der Klassenfah­rt“. Während die Schweiz, wo niemand aus religiösen Gründen dem Schwimmunt­erricht fernbleibe­n darf, ein Vorbild sei, sei Großbritan­nien, das die Sharia in seine Gesetzgebu­ng integriere, ein Negativbei­spiel. Auf die Frage, wie Integratio­n gelingen könnte schlug sie vor, bewährte Integratio­nsbemühung­en anderer Länder, wie etwa die der Schweiz, zu übernehmen. Und jene auf den Menschenre­chten basierende Haltung anzunehmen, die besagt, allen Menschen mit aufrichtig­em Respekt zu begegnen und jeden als Mitglied der Gesellscha­ft zu betrachten. Statt Toleranz und Pluralismu­s sieht sie die Lösung in einer „aktiven Bürgerscha­ft“. Das bedeute, „so, wie man nimmt, gibt man auch oder so, wie du behandelt sein willst, behandle auch die anderen.“Wichtig sei, dass die Spielregel­n klar seien „und auf verbindlic­hen Normen ruhen und ausnahmslo­s für alle gelten“.

 ?? FOTO: ISA ?? Die Menschenre­chtsaktivi­stin und Privatdoze­ntin an der Universitä­t Zürich Elham Manea spricht in den Friedensrä­umen darüber, wie Integratio­n gelingen kann.
FOTO: ISA Die Menschenre­chtsaktivi­stin und Privatdoze­ntin an der Universitä­t Zürich Elham Manea spricht in den Friedensrä­umen darüber, wie Integratio­n gelingen kann.

Newspapers in German

Newspapers from Germany