Integration gelingt nur mit einer aktiven Bürgerschaft
Wissenschaftlerin und Menschenrechtsaktivistin spricht über missverstandene Toleranz und Pluralismus
LINDAU - Integration braucht aktive Bürgerschaft statt Pluralismus und Toleranz. Gleichzeitig verlangt Integration auch nach klaren Spielregeln. Das ist die Antwort, die Elham Manea, Menschenrechtsaktivistin und Privatdozentin an der Universität Zürich, in ihrem wissenschaftlichen Vortrag „Europa und seine muslimischen Migrantinnen“auf die Frage, wie Integration gelingen kann, rund 40 Interessierten in den Friedensräumen gegeben hat.
„Europa muss die Migranten nach dem Gleichheitsprinzip behandeln“, davon ist Elham Manea überzeugt, ebenso wie sie davon überzeugt ist, dass Integration stattfinden muss. Und zwar jetzt sofort und nicht erst irgendwann. Hat sich die demografische Situation in Europa aufgrund von Migration in den vergangenen 60 Jahren drastisch verändert, so sei nicht in Sicht, dass sich daran etwas ändere. Deshalb, und weil sich unter der europäischen Bevölkerung Angst breit mache, sei es höchste Zeit die Frage zu beantworten, wie mit den Migranten umzugehen sei.
Eine Frage, für die sich die rund 40 Besucher des zweiten Vortrags der diesjährigen dreiteiligen Politreihe der Friedensräume „Zuhause in der Welt“, brennend interessierten. Kamen sie doch vorwiegend aus den diversen Helferkreisen und der Asylkontaktgruppe „Offene Türen“und haben tagtäglich mit Flüchtlingen zu tun. Die Wissenschaftlerin und Buchautorin stammt selbst aus dem Jemen, doch weil ihr Vater Diplomat war, hat sie ihr Leben lang in vielen verschiedenen Ländern gelebt und gelernt: „Menschen sind Menschen, überall“, wie sie dem Publikum gleich zu Anfang ihres Vortrags erklärte. Eine leicht verständliche Erkenntnis, zu der sie am Ende ihres wissenschaftlich und schwerpunktmäßig auf den Islam und die muslimischen Frauen gehaltenen Vortrags zurückkehren sollte.
Nach einem Diskurs zum Islam, seinen unterschiedlichen Richtungen und Bewegungen, der Scharia, der Rolle der Frau, dem Islamismus und der europäischen Angst davor, erörterte Manea ihre These, dass sich die muslimischen Migrantinnen nach dem vorherrschenden europäischen Konsens über die Beziehung zwischen Staat, Gesellschaft und Religion richten sollen. Und andererseits die europäischen Staaten ihre Errungenschaften auch nicht aufgeben dürfen.
Verbindliche Regeln für alle
Für ihre Forderung nach der Behandlung nach dem Gleichheitsprinzip waren zwei Prinzipien für sie wichtig. Assimilation und Säkularismus. Wenngleich Manea zugab, dass Assimilation im Sinne von Anpassung einen schlechten Beigeschmack habe, gab sie gleichzeitig auch zu bedenken, dass es weder „den“Islam, noch eine islamische Nation gebe. Vielmehr vereine der Islam diverse Religionsgemeinschaften mit unterschiedlichen Anschauungen, Atheisten ebenso wie Kulturmuslime, unter seinem Dach. „Es gibt also keine kollektive Identität der Muslime“, erklärte Manea und nutzte diese Tatsache auch, um zu erklären, warum deswegen nicht alle Moslems in einen Topf, und erst recht nicht in den des Islamismus, geworfen werden könnten. Was den Säkularismus, also die Trennung zwischen Staat und Religion, betrifft, fand Manea ihn nicht nur als geeignet, um den Islam, als neue Religion in Europa zu integrieren. Sondern gleichermaßen, um der Geschlechterfrage im Islam zu begegnen. Damit dies jedoch möglich sei, müssten die europäischen Staaten weiterhin auf ihre Errungenschaft des Säkularismus wie auch auf ihr Gleichberechtigungsprinzip zwischen Mann und Frau bestehen und selbst einhalten. Zugeständnisse jedweder Art seien ein falsches Signal. Damit sprach Manea das Kopftuchtragen ebenso an wie Befreiungen muslimischer Mädchen vom Schwimmunterricht und warnte: „Wenn eine Ausnahme gemacht wird, folgen weitere. Zuerst ist es die Befreiung vom Schwimmunterricht aus religiösen Gründen, dann die Teilnahme am Sexualunterricht und am Ende die Teilnahme bei der Klassenfahrt“. Während die Schweiz, wo niemand aus religiösen Gründen dem Schwimmunterricht fernbleiben darf, ein Vorbild sei, sei Großbritannien, das die Sharia in seine Gesetzgebung integriere, ein Negativbeispiel. Auf die Frage, wie Integration gelingen könnte schlug sie vor, bewährte Integrationsbemühungen anderer Länder, wie etwa die der Schweiz, zu übernehmen. Und jene auf den Menschenrechten basierende Haltung anzunehmen, die besagt, allen Menschen mit aufrichtigem Respekt zu begegnen und jeden als Mitglied der Gesellschaft zu betrachten. Statt Toleranz und Pluralismus sieht sie die Lösung in einer „aktiven Bürgerschaft“. Das bedeute, „so, wie man nimmt, gibt man auch oder so, wie du behandelt sein willst, behandle auch die anderen.“Wichtig sei, dass die Spielregeln klar seien „und auf verbindlichen Normen ruhen und ausnahmslos für alle gelten“.