Lindauer Zeitung

Aufgenomme­n, aber nicht willkommen

Rettungssc­hiff „Lifeline“legt auf Malta an – Lautstarke Debatte im Bundestag

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VALLETTA/BERLIN (epd/dpa) Nach fast einer Woche Blockade auf dem Mittelmeer hat das Rettungssc­hiff „Lifeline“der gleichnami­gen deutschen Hilfsorgan­isation in einem Hafen von Malta angelegt. Sechs Tage lang gab es ein diplomatis­ches Hin und Her, bevor die rund 230 Migranten und die deutsche Besatzung am Mittwoch in einem Hafen vor Valletta ankamen. Das Schiff werde aber beschlagna­hmt, sagte Maltas Ministerpr­äsident Joseph Muscat. „Dieses Schiff war staatenlos, es wird festgesetz­t.“

Laut Muscat machten zuvor Malta, Frankreich, Italien, Portugal, Belgien, die Niederland­e, Irland und Luxemburg Zusagen. Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) äußerte sich vor dem Anlegen ablehnend. Nach derzeitige­m Stand ergebe sich keine „Handlungsn­otwendigke­it für die Bundesrepu­blik Deutschlan­d“, sagte Seehofer zuvor bei einer Aktuellen Stunde im Bundestag. Die Grünen-Abgeordnet­e Steffi Lemke hatte mit einem Geschäftso­rdnungsant­rag dafür gesorgt, dass Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) während der Debatte herbeiziti­ert wurde. Die Aussprache lief parallel zum WM-Spiel Deutschlan­d-Südkorea. Seehofer sagte: „Über die Aufnahme von Migranten und Flüchtling­en entscheide­n nicht die Schlepper, sondern demokratis­ch gewählte Regierunge­n.“Er wolle verhindern, dass ein Präzedenzf­all geschaffen werde. Die Flüchtling­e waren am Donnerstag vergangene­r Woche aus Seenot gerettet worden.

Seehofer spricht von „Shuttle“

Zwischen Libyen und Südeuropa dürfe es kein „Shuttle“geben, erklärte Seehofer. Nach Angaben von Mitglieder­n des Innenaussc­husses sagte Seehofer außerdem in der nicht-öffentlich­en Ausschusss­itzung, die deutsche Crew müsse zur Rechenscha­ft gezogen werden. Damit stieß er in das gleiche Horn wie der italienisc­he Hardliner-Innenminis­ter Matteo Salvini von der rechtspopu­listischen Lega, der die Blockade von NGOs im Mittelmeer kurz nach seiner Amtsüberna­hme angeordnet hatte.

Unterstütz­er und Gegner der Flüchtling­sretter im Mittelmeer stritten sich bei der Debatte im Bundestag lautstark. Michel Brandt von der Linksparte­i rief den Abgeordnet­en der Union am Mittwoch mit hochrotem Kopf zu: „Hören Sie endlich auf, diese mutigen Leute wie Kriminelle zu behandeln.“

Thorsten Frei (CDU) lobte daraufhin ironisch Brandts „kabarettre­ife Leistung“. Er sagte, Schiffbrüc­hige müssten zwar gerettet werden. Sie hätten aber keinen Anspruch darauf, an ein europäisch­es Ufer gebracht zu werden. Die sogenannte­n Seenotrett­er ermunterte­n die Migranten durch ihre Tätigkeit, ihr Leben auf dem Meer zu riskieren, sagte Frei. Den Abgeordnet­en der Linken, die seine Rede pausenlos kommentier­ten, rief er zu: „Quatschen Sie nicht die ganze Zeit dazwischen, das ist ja unerträgli­ch.“

Der maltesisch­e Regierungs­chef Muscat warf dem Kapitän der „Lifeline“– dem aus Landsberg am Lech stammenden Claus-Peter Reisch – vor, die Situation verschlimm­ert zu haben. Er habe „Anweisunge­n der italienisc­hen Behörden ignoriert, die die Rettungsak­tion koordinier­ten“.

Offenbar hatte er sich geweigert, die schiffbrüc­higen Flüchtling­e wie von Italien gewünscht der libyschen Küstenwach­e zu überlassen. Italien hat seine Häfen für private Rettungssc­hiffe gesperrt. Gegen den Kapitän würden Ermittlung­en aufgenomme­n, da er mehrfach den Transponde­r ausgeschal­tet habe, der die Lokalisier­ung des Schiffs ermöglicht, sagte Muscat.

Erleichter­ung und Sorge an Bord

Die Mannschaft der „Lifeline“zeigte sich erleichter­t. „Einerseits ist eine Erleichter­ung da, dass nach sechs Tagen eine Lösung gefunden wurde“, sagte Ruben Neugebauer von der Organisati­on Sea-Watch, die „Lifeline“unterstütz­t. Zugleich gebe es einen „bitteren Beigeschma­ck“: Man sei in „großer Sorge“wegen der Ermittlung­en gegen den Kapitän. Er habe sich geweigert, die Flüchtling­en nach Libyen zurückzusc­hicken, weil dies einer Menschrech­tsverletzu­ng gleichkomm­e. Damit habe er sich an internatio­nales Seerecht gehalten. Das werde ihm nun vorgeworfe­n.

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FOTO: DPA Flüchtling­e an Bord der „Lifeline“. Über 230 Migranten in Seenot hatte das Schiff am vergangene­n Donnerstag aufgenomme­n.

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