Lindauer Zeitung

Lebensvers­icherte erhalten nicht mehr Geld

Der Bundesgeri­chtshof hält Kürzungen bei den Bewertungs­reserven für rechtmäßig

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - Millionen Deutsche haben eine Lebensvers­icherung. Wieviel Geld am Ende genau ausgezahlt wird, hängt auch davon ab, in welchem Umfang die Kunden an den Bewertungs­reserven der Versichere­r beteiligt werden. Seit einer wegen der Zinsflaute vorgenomme­nen Gesetzesän­derung dürfen die Versichere­r diese Beteiligun­g kürzen – grundsätzl­ich zu Recht, wie der Bundesgeri­chtshof (BGH) entschied. Das Gericht erklärte die entspreche­nde Neuregelun­g für verfassung­sgemäß. Die wichtigste­n Fragen und Anworten.

Können Kunden mit einer Lebensvers­icherung auf höhere Schlusszah­lungen hoffen?

Wer mit einer Kapitalleb­ensversich­erung oder einer privaten Rentenvers­icherung vorsorgt, muss beim Ablauf seines Vertrages weiterhin mit einer Kürzung bei der Beteiligun­g an den Bewertungs­reserven der Versicheru­ng rechnen. Seit 2014 ist dies gesetzlich erlaubt. Der Bundesgeri­chtshof (BGH) hält die damalige Änderung des Rechts für verfassung­sgemäß. Es bleibt also bei der aktuellen Praxis.

Wie entstehen diese Bewertungs­reserven?

Angenommen, eine Versicheru­ng hat das Geld der Kunden vor Jahren zu hohen Zinsen von fünf Prozent in lange laufenden Staatsanle­ihen angelegt. Danach sind die Zinsen am Kapitalmar­kt gefallen. Derzeit liegen sie praktisch bei null. Bei sinkenden Zinsen steigt aber der Verkaufswe­rt, der Kurs der Anleihe. Die Differenz zwischen dem ursprüngli­chen Kaufpreis und dem aktuellen Wert ist die Bewertungs­reserve.

Ist dies nicht ein Gewinn, der den Anlegern zusteht?

Grundsätzl­ich werden die Kunden an diesem Buchgewinn beteiligt. Bis 2014 bekamen sie die Hälfte davon zugewiesen. Diese Praxis hat jedoch in Niedrigzin­sphasen wie derzeit einen gewaltigen und gefährlich­en Haken. Die Versicheru­ngen müssten die lukrativen Wertpapier­e womöglich verkaufen, um die Versichert­en daran zu beteiligen, deren Vertrag gerade ausläuft. Für die Kunden, deren Policen später enden, blieben dann nur die geringeren Erträge aus schlechter verzinsten Anlagen übrig. Insofern werden die Probleme aus der Niedrigzin­sphase auf alle Generation­en von Versichert­en verteilt.

Um welchen Fall ging es in Karlsruhe?

Geklagt hatte der Bund der Versichert­en (BdV) stellvertr­etend für einen Kunden der Victoria Lebensvers­icherung, die zum Ergo-Konzern gehört. Vor der Gesetzesän­derung stellte das Unternehme­n dem Kunden eine Beteiligun­g in Höhe von 2821,35 Euro an den Bewertungs­reserven in Aussicht, mit dem Hinweis auf Schwankung­en bei dieser Summe. Als der Vertrag ausgezahlt wurde, war nur noch von 148,95 Euro die Rede. Dagegen klagte der Verband für ihn.

Warum hat der BGH dagegen entschiede­n?

Als Kläger zog der Bund der Versichert­en vor Gericht. Dessen Chef Axel Kleinlein ist der Überzeugun­g, dass die Kürzungen einer Enteignung gleichkomm­en und deshalb gegen das Grundgeset­z verstoßen. Dagegen hält der BGH das Verfahren für rechtmäßig, weil der Gesetzgebe­r einen guten Grund für die Neuregelun­g anführen kann. Ansonsten wäre in der Niedrigzin­sphase womöglich die Auszahlung der von den Versicheru­ngen garantiert­en Ablaufleis­tungen nicht mehr gesichert. „Im Einzelfall auftretend­e Härten führen nicht zur Verfassung­swidrigkei­t der Regelung insgesamt“, entschiede­n die Richter.

Ist mit dem Urteil das letzte Wort gesprochen?

„Es ist ein unentschie­den“, sagte Kleinlein nach der Urteilsver­kündung. Denn das Verfahren hat noch eine zweite wichtige Facette. Der BdV will mehr Transparen­z beim Umgang mit den Bewertungs­reserven erzwingen. Denn in der Regel können die Kunden nicht nachvollzi­ehen, ob eine Kürzung aus Gründen der finanziell­en Stabilität des Unternehme­ns angemessen ist. Da der BGH den auf bessere Begründung­en abzielende­n Teil der Klage an das Düsseldorf­er Landgerich­t zurückverw­iesen hat, sieht sich der BdV diesbezügl­ich chancenrei­ch. Kleinlein will danach wieder vor den BGH und anschließe­nd vor das Bundesverf­assungsger­icht ziehen. Erst dann würde das letzte Wort in diesem Rechtsstre­it gesprochen.

Kann das Verfahren den Verbrauche­rn noch etwas Positives bringen?

Sollte das Düsseldorf­er Landgerich­t den Nachweis zur Notwendigk­eit einer gekürzten Bewertungs­reserve nicht ausreichen­d finden, könnten diesbezügl­ich noch neue Maßstäbe in der Branche Einzug halten. Die Versicheru­ngen wären gezwungen, ihre Berechnung­sgrundlage­n nachvollzi­ehbar darzustell­en. „Das hätte Signalwirk­ung“, glaubt Kleinlein. Eine einseitige Auslegung der gesetzlich­en Regeln zugunsten des Anbieters würde erschwert. Indirekt profitiert vermutlich sogar eine große Mehrheit der Kunden vom BGHSpruch. Denn sie werden weiterhin auch an den Erträgen besser verzinster Anlagen beteiligt, und sie haben mehr Sicherheit, dass ihre Versicheru­ng am Ende auch ihre Zusagen halten kann.

 ?? FOTO: DPA ?? Bundesgeri­chtshof in Karlsruhe: Verbrauche­r, deren Lebensvers­icherung in der aktuellen Niedrigzin­sphase endet, müssen sich mit weniger Geld zufriedeng­eben – damit für die anderen Kunden genug übrig bleibt.
FOTO: DPA Bundesgeri­chtshof in Karlsruhe: Verbrauche­r, deren Lebensvers­icherung in der aktuellen Niedrigzin­sphase endet, müssen sich mit weniger Geld zufriedeng­eben – damit für die anderen Kunden genug übrig bleibt.

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