Staffellauf nach Staffa
Ein Tagesausflug genügt, um drei schottische Inseln kennenzulernen, die unterschiedlicher nicht sein könnten
OBAN (dpa) - Fähre, Reisebus, Ausflugsboot: Mit drei Verkehrsmitteln geht es für Urlauber vom schottischen Festland bis zur kleinen Insel Staffa. Die Tagestour an der Westküste gestaltet sich wie ein Staffellauf. Mit Übergaben, die an das Gedränge einer Wechselzone im Stadion erinnern.
Erst ist da nur ein dunkler Streifen am Horizont, gelegentlich verdeckt von Wellen, die gegen das Boot schlagen. Dann wächst der Streifen immer mehr in die Breite und Höhe, fast 40 Meter ragt die Steilküste der Insel schließlich aus dem Atlantik. An ihrem südlichen Ende schwappt das Meer in eine dunkle Höhle, darüber liegt ein flaches Plateau. Willkommen auf Staffa.
Von den Inseln, die vor Schottlands Westküste die Inneren Hebriden bilden, ist Staffa vielleicht die ungewöhnlichste. Sie ist klein, unbewohnt und besteht vor allem aus ungezählten Basaltsäulen: erstarrtem, vor Millionen Jahren aus dem Inneren der Erde geschossenem Magma. Wie dicht an dicht gestellte Pfähle sehen die Steinbrocken aus, über die bereits die ersten Besucher balancieren, während das Boot von Staffa Tours noch auf den Anleger zusteuert.
Für die meisten Passagiere ist die gut halbstündige Fahrt von Fionnphort auf der Insel Mull nach Staffa bereits die dritte Etappe an diesem Tag. Und mancher ist sichtlich froh, nun mittags endlich am Ziel zu sein. Am Morgen sind die Reisenden aufgebrochen in Oban, einer Hafenstadt an Schottlands Westküste, die ein Knotenpunkt für die Fährverbindungen zu den Inneren Hebriden ist. Mit der „MV Isle of Mull“geht es nach Craignure auf Mull, knapp eine Stunde dauert die Schiffsreise. Am Hafen warten Busse.
Auf Mull haben nur Urlauber Stress
Fahrer Colin Stewart gibt den Fremdenführer, während er den Bus über die einspurigen Straßen lenkt, an denen immer wieder Ausweichbuchten den Verkehr in beide Richtungen überhaupt erst ermöglichen. Kurz vor dem Dorf Pennyghael grasen Hochlandrinder zwischen der Straße und dem Meer. „In Pennyghael gab es früher viel Aktivität“, erzählt Colin. „Aber heute sind hier alle im Ruhestand. Keiner steht vor zehn Uhr auf, und um 17 Uhr gehen alle wieder schlafen.“Etwa 3000 Bewohner habe Mull im Sommer und weniger als 2000 im Winter. Das Inselleben sei extrem gelassen. Es gebe weder Supermärkte noch einen Pizzaservice und erst seit 2016 einen Damenfriseur auf der Insel.
Wenn Colin beteuert, niemand auf der Insel habe Stress, dann gilt das eher nicht für Touristen. Nach der Ankunft am Hafen Fionnphort im Westen von Mull stehen sie erstmal Schlange am Anleger. Mehrere Busse sind gleichzeitig angekommen, es gibt zu wenig Platz an Bord. „Wir sind voll, das nächste Boot kommt gleich“, ruft Skipper Paul Grant und nimmt Kurs auf das elf Kilometer nördlich gelegene Staffa. Auf dem Pier ringen die Wartenden nun um die Positionen. Auf dem zweiten Boot, das da kommen soll, will jeder gerne vorne sitzen, um genau zu beobachten, wie der Streifen am Horizont immer größer wird.
Nach der Landung auf Staffa spazieren die Touristen im Gänsemarsch über die wie Orgelpfeifen aufgereihten Basaltsäulen. Ihr gemeinsames Ziel ist Fingal’s Cave, eine etwa 85 Meter lange Höhle, die schon vom Meer aus zu sehen ist. Pro Jahr werden etwa 90 000 Besucher gezählt. Viele von ihnen kommen in der Zeit von Mai bis Anfang August, wenn auf Staffa Papageientaucher brüten – eine besonders niedliche Vogelart. Auf Staffa bleibt nur insgesamt eine Stunde Zeit. Ein paar Selfies vor der Höhle und ein kurzer Abstecher auf das mit saftigem Gras bewachsene Plateau, schon ist der Aufenthalt vorbei. Der Staffellauf vor der Westküste geht weiter. Die ersten Tourteilnehmer stellen sich bereits 20 Minuten vor der angekündigten Abfahrtszeit an der Mole an, um an Bord des Ausflugsbootes auch auf alle Fälle einen guten Platz zu bekommen.
Kolumbans Kloster
Statt nach Mull zurück, geht es nun aber erstmal nach Iona, einer besonders geschichtsträchtigen Insel. Zweieinhalb Stunden dürfen sich die Tagesausflügler dort Zeit nehmen. Schon im Jahr 563 gründete der Ire Kolumban hier ein Kloster. Die Christianisierung nicht nur Schottlands, sondern auch Nordenglands nahm hier ihren Anfang. Heute sind das alte Abteigebäude und die davor platzierten keltischen Hochkreuze, die zum Teil aus der Zeit um das Jahr 750 stammen, die wichtigsten Attraktionen auf der Insel, die nur durch einen wenig mehr als einen Kilometer breiten Meeresarm von Mull getrennt ist.
Mittlerweile ist es nach 17 Uhr, der Weg zurück zum Ausgangspunkt des Tages beginnt – mit einer zehnminütigen Fährfahrt von Iona nach Mull als erster Etappe, die wie alle anderen Fahrten dieses Tages im Paketpreis der Touranbieter schon enthalten ist. In Fionnphort nimmt Busfahrer Colin Stewart wieder seine Gäste auf, um sie nach Craignure zu kutschieren, wo die „MV Isle of Mull“pünktlich nach Oban abfährt. Um kurz nach 20 Uhr, gut zehn Stunden nach dem Aufbruch, ist der Staffellauf nach Staffa und zurück wieder vorbei.
Im Hafen von Oban warten Pubs und Pizza auf die Touristen. Massentourismus auf schottische Art. Wer sich nach mehr Ruhe sehnt, muss sich nur nach Norden wenden und in Fort William nach Westen abbiegen. Dort streckt sich die Halbinsel Ardnamurchan in den Atlantik. Wieder sind einspurige Straßen zu befahren, hier nun mit besonders wenig Gegenverkehr. Und nahe des Leuchtturms ganz am Ende der Strecke liegt der westlichste Punkt des britischen Festlandes, sofern man bei Großbritannien von Festland sprechen möchte.