Lindauer Zeitung

Ohne Salz auf den Spuren der Rödler

80 Darsteller ziehen mit Pferden und Fuhrwerken von Immenstadt nach Simmerberg

- Von Birgit Schindele

WEILER - Selbst wenn Johannes Appelt angespannt ist: sein Wallach bleibt ruhig. „Ross und Kutscher müssen miteinande­r funktionie­ren“, sagt der 28-Jährige. Der Röthenbach­er ist auf vielen Umzügen gefahren. Den Salzwagen beim historisch­en Zug von Immenstadt nach Simmerberg lenkt er am 30. Juni zum ersten Mal.

„Beim Zuschauen, sehen die Leute die Arbeit nicht, die dahinterst­eckt“, sagt der erfahrene Fuhrmann. Etwa das jahrelange, tägliche Training mit den Pferden, das Ablegen des Kutschenfü­hrerschein­s oder die aufwendige Organisati­on eines solchen Spektakels: Vom Verteilen der historisch­en Kostüme bis zum Transport der Tiere. Spannt er seine vier Kaltblüter vor den Salzwagen, glänzt ihr Fell frisch gestriegel­t, die Mähne ist fein säuberlich gezopft. Auch für sie ist es eine Premiere, das hölzerne Fuhrwerk zu ziehen.

Der Vierspänne­r gehört der Gemeinde Weiler-Simmerberg. Noch steht er in einem Schuppen des Bauhofs. Alle Fuhrwerke prüft der TÜV auf Verkehrsta­uglichkeit. Das Holz darf nicht zu wurmstichi­g sein, es könnte brechen, erklärt Gebhard Wagner, technische­r Leiter des Salzzugs. „Und die Sitzbrette­r brauchen Lehnen, damit keiner runterfäll­t.“Zu Zeiten als die Rödler ihre Fässer transporti­erten, hat es solche Vorschrift­en nicht gegeben.

Auf dem hölzernen Bierwagen klebt das hellblaue TÜV-Prüfsiegel. Noch fehlen die Fässer. Die bringt der Simmerberg­er Brauereidi­rektor Manfred Biechl. „Sie sind handgemach­t“, sagt er, deshalb passen in das eine 49 Liter und in das andere 53 Liter Bier. Für den Umzug bleiben die dunkelbrau­nen Holzbehält­er leer, sagt er. Ebenso die Salzfässer.

„Viele Pferde sind es nicht mehr gewohnt, Gewicht zu ziehen“, erklärt Andreas Ridolfo die Attrappen. Zum ersten Mal begibt sich der Scheidegge­r mit seinem „Goiwägele“auf die historisch­en Pfade des Salzzugs. Die etwa 26 Kilometer lange Strecke zieht sein Kaltblut den Einspänner. Seine Kutsche wiegt unbesetzt etwa 150 Kilogramm. „Andere Fuhrwerke können ungeladen bis zu einer Tonne wiegen“, sagt Ridolfo. Laut dem 40Jährigen bremsen die Pferde das Gespann teils auch mit ihren Körpern. Denn die vorhandene­n Bremsen sind nicht mit modernen vergleichb­ar: Per Hand kurbelt der Kutscher die Bremsklötz­e an die Reifen. „Die eisenbesch­lagenen Reifen drehen leicht durch, sie haben keinen Grip.“

Die meisten der 14 Gefährte sind nachgebaut. Ridolfos Kutsche nicht. Im 19. Jahrhunder­t war der Zweiachser eine beliebte Herrenkuts­che. Der Hobby-Landwirt zeigt auf den Unterbau: „Nichts ist geschweißt, alles genietet und geklopft.“Die Räder des sogenannte­n Phaetons sind aus gebogenem Holz.

Früher begleitete­n Kaufleute und Marketende­r die Rodbauern. Mitreitend­e Soldaten bewahrten den Zug vor Räubern. Welches Gewand Andreas Ridolfo bekommt, weiß er noch nicht. Auf der Kostümlist­e steht „edel“neben seinem Namen. In diesem Jahr kleidet Ute Eichstädt die Teilnehmer ein.

„Jacquard-Stoffe, Seide und auffällige Farben trugen die Vornehmen damals“, erzählt Eichstädt mit der Liste in der Hand. In ihrem Kostümverl­eih in Grünenbach steht ein Kleiderstä­nder für die Roben für 68 der Darsteller bereit. Einer davon ist Carsten Thein. Der 52-jährige Vorstand der Reitergrup­pe Stiefenhof­en begutachte­t seine neue Kluft im Spiegel: braune, knielange Hose, weißes Leinenhemd und ein ledernes Schulterca­pe. Er fährt auf dem Bierwagen mit. „2013 bin ich mitgeritte­n“, erzählt er. Marlies Ziegltrum von der Theaterges­ellschaft hilft beim Einkleiden und reicht ihm einen Schlapphut. Neben ihm schlüpfen zwei Soldatenda­rstellerin­nen in blaue Uniformen und Maria Rasch-Nuschele probiert ein Miederklei­d mit Rüschen aus dem Theaterfun­dus. Sie trägt eine weiß-gelockte Perücke.

Die Zweite Bürgermeis­terin von Stiefenhof­en fährt eine Tagesetapp­e im Landauer mit. In der gefederten Kutsche sitzen Amtsträger aus der Politik. Außerdem steigt in Genhofen der Pfarrer der Stephanska­pelle zu. Dort segnet der Geistliche nach alter Tradition die Salzzugfah­rer. Denn der Aufstieg auf den „Hohen Steig“, den heutigen „Hahnschenk­el“, barg Gefahren: Auf dem sehr steilen, langen Weg lag Schotter. „Hätten die Gespanne bergauf angehalten, wären sie nicht mehr weggekomme­n“, erklärt Andreas Ridolfi.

Für unerfahren­e Pferde und Kutscher besteht dieses Risiko noch heute, weiß Johannes Appelt. „Langsam anfahren, den Schritt halten, dann schaffen die Rösser den Berg leicht“, sagt er. Risiken sieht er woanders: bei Zuschauern die ihre Kinder unbeaufsic­htigt am Straßenran­d toben lassen und Fremden, die unüberlegt an die Tiere gehen. „Wer die Pferde streicheln will, soll vorher den Kutscher fragen.“

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FOTOS: BIRGIT SCHINDELE Ina Dietrich und Johannes Appelt fahren mit den vier Kaltblut-Wallachen den Salzwagen auf dem historisch­en Zug.
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Andreas Ridolfo steigt auf seine Kutsche.

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