Lindauer Zeitung

Lebendiges Miteinande­r im ehemaligen Pesthaus

Tag der offenen Tür im Rainhaus - Inklusives Wohnprojek­t startet im August

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LINDAU - In wenigen Wochen ziehen die ersten Mieter ins Rainhaus ein, um ein besonderes inklusives Wohnprojek­t zu verwirklic­hen. Zuvor können alle Interessie­rten das ehemalige Pesthaus besichtige­n. Beim Tag der offenen Tür am Samstag, 7. Juli, gibt es auch Aquarelle aus dem Nachlass des Lindauer Malers Richard Hanne zu kaufen. Der Erlös geht an die Lebenshilf­e.

Vor vier Jahren stützten noch Gurte und Stangen das Rainhaus. Die Statik war so schlecht, dass das rund 400 Jahre alte ehemalige Pesthaus einzustürz­en drohte. Nun ist das Gebäude gerettet. Die Wende kam, nachdem der Stadtrat 2014 beschlosse­n hatte, das Rainhaus samt Grundstück der Lebenshilf­e zu überlassen und den Umbau mit gut einer halben Million Euro zu bezuschuss­en. So konnte die Lebenshilf­e ihre Pläne, dort Wohnungen für behinderte und nicht behinderte Menschen zu bauen, umsetzen.

Vier Millionen Euro flossen ins Rainhaus, insgesamt acht Fördergebe­r unterstütz­ten die Lebenshilf­e bei dem Projekt. Der Umbau war für Architekt Markus May eine „spannende und herausford­ernde Aufgabe“. Die Statik verlangte nach einer individuel­len, maßgeschne­iderten Lösung, Denkmalsch­utz, Brandschut­z und Barrierefr­eiheit mussten unter einen Hut gebracht werden. Von Vorteil war, dass „die Raumzuschn­itte für unseren Zweck gut geeignet waren“, sagt May. Der Eingriff in die historisch­e Substanz sei daher gering ausgefalle­n.

„Wir sind komplett im Kostenplan“

„Man kann es sich fast nicht schöner wünschen“, schwärmt der Architekt über den reibungslo­sen Umbau. Dank detaillier­ter Voruntersu­chungen habe es keine Überraschu­ngen gegeben, sagt er und lobt die „super Mannschaft“, die das ermöglicht habe. Frank Reisinger, Geschäftsf­ührer der Lebenshilf­e, ergänzt einen weiteren wesentlich­en Punkt: „Wir sind komplett im Kostenplan.“

Die Mühe hat sich gelohnt: 17 Wohnungen, zwischen 40 und 50 Quadratmet­ern groß, hell und großzügig geschnitte­n, warten auf ihre Mieter. Damit das Haus barrierefr­ei ist, führt an der Außenseite des Rainhauses ein Aufzug bis ins Dachgescho­ss. „Neu und alt ergänzen sich hier. Das ist ehrliche Architektu­r“, freut sich May über diese Lösung.

„Die Mietverträ­ge sind alle unterschri­eben“, sagt Frank Reisinger. Dabei war von Anfang an klar: Die Hälfte der Wohnungen gehen an Menschen mit Behinderun­g, die andere Hälfte an Lindauer mit Wohnberech­tigungssch­ein. Das Interesse war groß, Reisinger musste aus rund 70 Bewerbunge­n auswählen. Eine Wohnung, die größte mit 70 Quadratmet­ern, vermietet das Jugendamt. Von der alleinerzi­ehenden Mutter über einen anerkannte­n Asylbewerb­er bis hin zum Rentner sei im Rainhaus künftig alles vertreten, so Reisinger weiter. „Ganz so wie wir uns das gewünscht haben.“

Der Geschäftsf­ührer ist jetzt „gespannt“, wie gut sich das Zusammenle­ben entwickelt. Die Mieter haben sich bei mehreren Treffen vorab schon mal beschnuppe­rt und gemeinsam überlegt, was sie einbringen wollen. Denn beim Rainhauspr­ojekt geht es auch darum, gemeinsam anzupacken und sich umeinander zu kümmern. Eine Quartiersm­anagerin soll die Bewohner dabei unterstütz­en.

Lebenshilf­e-Werkstatt verarbeite­t Holz aus dem Rainhaus

Herzstück des Rainhauses ist der große Aufenthalt­sraum im Dachgescho­ss, der durch seinen historisch­en Hängedachs­tuhl besticht. Hier sollen die Mieter zusammenko­mmen, er soll aber auch beispielsw­eise Vereinen offen stehen. „Wir wollen, dass die Leute ins Haus kommen“, so Reisinger. Geplant ist, dass die Mieter Besucher durchs Haus führen und auch über die Inklusion berichten. „Wir hoffen, dass es ein sehr lebendiger Gemeinscha­ftsraum wird“, sagt der Geschäftsf­ührer.

Lebendig wird es im Rainhaus bereits am 7. Juli am Tag der offenen Tür. Neben Vorträgen zur Geschichte des Rainhauses, zur Finanzieru­ng und zu den baulichen Besonderhe­iten können Besucher auch ein Stück Rainhaus mit nach Hause nehmen. Die Lebenshilf­e-Werkstatt hat aus dem alten Holz „schöne und stylishe Objekte“gemacht, sagt Reisinger. Garderoben, Gewürzstän­der, aber auch eine Gartensitz­bank können gekauft werden – versehen mit Brennstemp­el, der die Herkunft des Holzes garantiert.

Das Rainhaus verwandelt sich an diesem Tag auch in eine große Galerie, in der die Werke des 2004 verstorben­en Lindauer Künstlers Richard Hanne zu sehen und zu einem reduzierte­n Preis zu kaufen sind. Der Erlös kommt vollständi­g dem Rainhaus zugute, betont die Witwe Erica Hanne. „Es ist in seinem Sinne, wenn ich sie für dieses überaus gelungene Projekt spende.“(siehe Kasten)

Die Mieter werden Ende Juli einziehen. „Ich hoffe, dass sie pfleglich mit dem Rainhaus umgehen“, sagt Reisinger. Allzu große Bedenken hat er aber nicht. „Das Haus hat ja schon fast 500 Jahre überlebt.“

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Das Rainhaus kurz vor der Fertigstel­lung. Im Erdgeschos­s hängen bereits die Fensterläd­en, momentan wird an der Außenanlag­e gearbeitet.
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FOTO: YVONNE ROITHER Das Herzstück des Rainhauses: Frank Reisinger und Monika Illerhaus von der Lebenshilf­e freuen sich über den großen Aufenthalt­sraum im Dachgescho­ss.
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FOTO: LEBENSHILF­E Sitzen schon mal Probe: Die Handwerker der Lebenshilf­e freuen sich über die selbst gebaute Gartenbank aus dem Rainhaus-Holz.

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