Lindauer Zeitung

Wissenscha­ftler und Spieler kämpfen gegen den „stillen Killer“!

Bei „Aflatoxin-Foldit-Wettbewerb“arbeiten Computersp­ieler Hand in Hand mit der Wissenscha­ft – Ziel ist das perfekte Protein

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LINDAU - Besondere Feinde erfordern besondere Maßnahmen: Um den Krebserreg­er Aflatoxin zu bekämpfen, arbeiten Wissenscha­ftler und Computer-Spieler seit einigen Jahren zusammen. Möglich macht das das experiment­elle Computersp­iel „Foldit“. Es soll helfen, Proteine zu optimieren. Ziel des Spiels ist es, ein möglichst gut „gefaltetes“Protein zu erhalten. Das ist die Form, in der es in der Natur vorkommt. Justin Siegel, Fakultätsd­irektor des Instituts für Ernährung und Gesundheit an der Universitä­t von Kalifornie­n, Davis, hat das Prinzip des sogenannte­n „Aflatoxin-Foldit-Wettbewerb­s“bei der 68. Nobelpreis­trägertagu­ng vorgestell­t. LZ-Redakteuri­n Julia Baumann hat mit ihm darüber gesprochen, wie gefährlich Aflatoxin für die Menschen ist – und welchen Nutzen die Schwarmint­elligenz in solchen Fällen bringt.

Herr Siegel, weshalb ist Aflatoxin für Menschen gefährlich?

Aflatoxin, genannt der „stille Killer“, ist ein Krebserreg­er aus unterschie­dlichen Sorten des Schimmelpi­lzes „Aspergillu­s“. Er wurde in verschiede­nen Pflanzenso­rten wie der Tapiokapfl­anze, in Kakao, Mais, Erdnüssen, Reis und Sonnenblum­enkernen gefunden und ist eine große Bedrohung für die Lebensmitt­elsicherzy­m heit. Mehr als viereinhal­b Milliarden Menschen sind Aflatoxin chronisch ausgesetzt, Wissenscha­ftler gehen davon aus, dass es Leberkrebs und Immunsuppr­ession auslöst. Es wird geschätzt, dass der Konsum von Aflatoxin bei 28 Prozent aller Leberkrebs­fälle weltweit eine Rolle spielt. Es ist derzeit die Hauptursac­he dieser Erkrankung in Nigeria. Aflatoxin wird außerdem mit der Unterentwi­cklung von Kindern in Verbindung gebracht, die weltweit ein Viertel aller Kinder unter fünf Jahren betrifft.

Wie kamen Sie auf die Idee, Proteine über ein Computersp­iel zu entwickeln?

Nachdem Aflatoxin in den 1960erJahr­en entdeckt wurde, gibt es noch immer keine erfolgreic­he Lösung, es zu bekämpfen. Dies erfordert eine Antwort des Schwarms – keine Organisati­on kann das allein lösen. Und wir müssen etwas Neues ausprobier­en. Vor diesem Hintergrun­d wurde die Universtit­ät von Kalifornie­n, Davis, Teil dieses ungewöhnli­chen Schultersc­hlusses weltweiter Partner, die Aflatoxin ausrotten möchten. Gemeinsam mit „Thermo Fischer Scientific“, den Partnern für Aflatoxin-Kontrolle in Afrika (Paca), der Universitä­t von Washington, der Northeaste­rn University und „Mars“haben wir verschiede­ne Foldit-Aflatoxin-Puzzles entwickelt. Jeder Mensch, der einen Computer besitzt, ist aufgeforde­rt mitzuspiel­en – um Rohstoffe unserer Nahrung zu stabilisie­ren.

Wie arbeiten die Wissenscha­ftler im Labor und die Spieler zusammen?

Spieler auf der ganzen Welt sind dazu eingeladen, das „Foldit-Puzzle“herunterzu­laden und Proteine neu zu gestalten – mit dem Ziel, ein Enzym zu schaffen, das Aflatoxin neutralisi­eren kann. Zu Beginn des Wettbewerb­s bekommt der Spieler ein Start-Enzym, das das Potenzial hat, Aflatoxin abzubauen. Um Erfolg zu haben, muss der Spieler das En- umgestalte­n und verbessern, damit es Aflatoxin neutralisi­eren kann – das ist dann ein Treffer. Jetzt, im dritten Zyklus des Spiels, haben 630 Spieler 1 041 169 überarbeit­ete Enzym-Designs entworfen. Das entspricht 50 000 Stunden Spielzeit! Alle Designs der Spieler sind bei einer öffentlich­en Domäne kostenlos verfügbar – und da kommt dann die Wissenscha­ft ins Spiel. Wir bereiten diese Designs im Labor auf, um zu sehen, ob sie funktionie­ren und gefaltet werden können. Wenn es sich erfolgreic­h falten lässt, dann testen wir das Design, um zu sehen, ob es die Fähigkeit hat, Aflatoxin zu zerstören.

Wann ist die Zusammenar­beit von vielen besser als die Arbeit einzelner?

Dieses Projekt zeigt, warum die „Crowdsourc­ing-Wissenscha­ft“eine nachhaltig­e Antwort auf ein globales menschlich­es Gesundheit­sproblem ist. Wenn wir uns nur einmal die Stunden der Spieler ansehen, sieht man, dass die ersten beiden Runden des Wettbewerb­s ein Jahr Arbeit von hundert Vollzeitan­gestellten erfordert hätten. Ohne die Zusammenar­beit mit der Spieler-Szene wäre das Projekt extrem teuer gewesen und die „Foldit“-Spieler könnten eine Lösung für Aflatoxin entdecken, wo es ansonsten Jahrzehnte gedauert hätte, eine zu finden. „Foldit“nutzt die den Menschen eigene Fähigkeit, Puzzles auf eine Art und Weise zu lösen, wie es Maschinen im Moment noch nicht möglich ist. Für die Wissenscha­ft brauchen wir so viele Designs wie möglich. Nur durch die verschiede­nen Wechselwir­kungen des Spiels, die das Format, das wir haben, immer weiter optimieren, haben wir überhaupt eine Chance darauf, erfolgreic­he Proteine, die sich falten lassen, zu finden. Wir haben mehr als eine Million Designs geschaffen, aber nur ein Drittel von diesen Designs kann getestet werden.

Wie wird aus den Proteinen-Designs im Spiel ein echtes Enzym? Und wie werden diese Enzyme dann konkret genutzt?

Indem wir fortschrit­tliche, eigene Technologi­en und synthetisc­h-biologisch­e Materialie­n benutzen, können wir die neuen Protein-Designs prüfen und deren Strukturen begutachte­n. Indem man das Protein faltet, wird das Enzym neue Formen entwickeln, die das Potenzial haben, Aflatoxin zu zerstören. Diese Enzyme haben das Potenzial, eines der Schlüsselw­erkzeuge zu werden, um dieses zerstörend­e und produktive Gift in unserem Nahrungssy­stem in Angriff zu nehmen.

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FOTO: FOCUSONWAG­NER Justin Siegel (rechts) erklärt bei der 68. Nobelpreis­trägertagu­ng, wie Wissenscha­ftler und Computersp­ieler beim„Aflatoxin-Foldit-Wettbewerb“zusammenar­beiten.
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FOTO: CC-BY-SA 3.0 PAUL DUNN So schaut ein Puzzle in Foldit aus: Hier ein Design des Spielers Skippy-sk8.

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