Lindauer Zeitung

Die MAN-Lkw-Geschichte beginnt in Lindau

Henning Stibbe erzählt im Historisch­en Verein die Geschichte der Lastwagenp­roduktion in Lindau

- Von Isabel Kubeth de Placido

LINDAU – Die MAN Truck und Bus AG zählt heute zu Europas führenden Anbietern von Lastwagen und Bussen. Eine Erfolgsges­chichte, die in der Kemptener Straße in Lindau ihren Anfang nahm. Wie und warum ausgerechn­et in Lindau, das erklärte der Kunsthisto­riker Henning Stibbe auf Einladung des Historisch­en Vereins rund 40 Interessie­rten im Gewölbesaa­l.

Die Geschichte der MAN in Lindau ist kurz, aber umso bedeutende­r. Denn obwohl sie nur ein einziges Jahr währte, begründete sie dennoch die Geschichte der MAN Nutz- und Transportf­ahrzeuge. Nicht umsonst betonte der Leiter des historisch­en Archivs der MAN Truck & Bus AG in München, Henning Stibbe, gleich zu Anfang seines Vortrags: „Die MANGeschic­hte hat ziemlich viel mit Lindau zu tun.“

Dass es ausgerechn­et Lindau war, war eigentlich kein Zufall. Hier hatte bereits 1910 der internatio­nal erfolgreic­he Schweizer Nutzfahrze­ug- und Transportm­ittelherst­eller Adolph Saurer aus Arbon in der Kemptener Straße 11 in Reutin eine Montagehal­le erbaut, um sich damit auch den Zugang in den Markt des Deutschen Reiches zu sichern. Ein Produktion­sbereich, den sich MAN, deren dominieren­der Geschäftsz­weig seit Mitte des 19. Jahrhunder­ts im Brücken- und Stahlbau bestand, auch gerne für sich erschließe­n wollte. Was jedoch erst mit dem Beginn des Ersten Weltkriege­s und der damit verbundene­n Abnahmegar­antie durch die deutsche Heeresverw­altung gelang. Schon 1914 hatte Anton von Rippel, Generaldir­ektor der MAN, mit den vielzitier­ten Worten „Die MAN muss auf Räder gestellt werden“, eine klare Firmen-Strategie vorgegeben. Weil es jedoch für eine eigene Entwicklun­g von Lkw und Bussen bereits zu spät war, ging MAN auf die Suche nach einem soliden Partner. Und fand diesen in Saurer. Am 21. Juni 1915 wurde schließlic­h das Unternehme­n „Lastwagenw­erke MAN-Saurer GmbH“(LWW) gegründet. „Die Lkw- und Busherstel­lung begann bei MAN also mit einem Joint-Venture hier in Lindau am Bodensee“, stellte Stibbe fest und erklärte, dass Saurer eine Lizenzabga­be abgelehnt hatte und daher eine gemeinsame Produktion­sgesellsch­aft gegründet worden war. Eine raffiniert gewählte Firmenkons­tellation, bestehend aus einer GmbH und einer KG, machte Steuervort­eile möglich und sicherte gleichzeit­ig MAN wie auch Saurer paritätisc­he Rechte an jener Firma, die in ihrem Logo den stilisiert­en Giebel des Alten Rathauses abbildete.

1915 beginnt Lkw-Produktion

Die ersten Lkw wurden also in der Kemptener Straße ab Juli 1915 montiert. Dabei kamen das Fahrgestel­l und der Motor aus Saurers Werk in Arbon. Lediglich die Endmontage fand in Lindau statt. Hergestell­t wurden hier zwei Modelle, nämlich ein Drei-Tonnen-Kardanwage­n sowie ein Vier-Tonnen-Lkw mit Kettenantr­ieb. Anfangs wurden die Nutzfahrze­ugkomponen­ten und Ersatzteil­e noch per Lkw angeliefer­t, später mussten die Ersatzteil­e allerdings in Nacht-und-Nebel-Aktionen mit dem Motorboot über den Bodensee gebracht werden. Der Grund waren die geschlosse­nen Grenzen zwischen Deutschlan­d und der Schweiz. Weil so aber auf Dauer nicht weiter produziert werden konnte, erfolgte 1916 und damit nur ein Jahr nach Gründung des Lindauer Werkes der Umzug der Nutzfahrze­ugprodukti­on in das MAN-Werk Nürnberg. Insgesamt bauten und verkauften die LWW 276 Fahrzeuge. Davon 121 aus Lindau. 1915 waren es 118, die aus Lindau kamen, 1916 nur noch drei. Waren es anfangs noch fast ausschließ­lich zivile Fahrzeuge, die die LWW produziert­en, wie etwa Bierlaster, Lkws für den Langholztr­ansport, Feuerwehrf­ahrzeuge oder Fahrzeuge für den Handel oder die Industrie, kaufte das deutsche Militär ab 1916 fast alle Kettenwage­n auf. Fotografie­rt wurden die Fahrzeuge vom Lindauer Arthur Eckerlein, der sein Studio in der Zwanzigers­traße hatte. Ein Umstand, dem es laut Henning Stibbe zu verdanken sei, dass die ohnehin seltenen Fotos aus der Zeit nicht nur die Fahrzeuge zeigten, sondern durch die darauf zu sehenden Gebäude gleichzeit­ig auch den Bezug zu Lindau dokumentie­ren.

Am 16. November 1916 wurde das verlassene Saurer-Werk in Lindau verkauft, 1917 übernahm es der Zeppelin-Konzern, ab 1921 die Firma Escher-Wyss, danach Axima-Cofely. Heute ist die Halle abgerissen, die Fläche an einen Bauträger verkauft, der dort ein neues Wohngebiet errichten will. In der anschließe­nden Diskussion kritisiert­en nicht nur einige Interessie­rte den Abriss des für die Lindauer Industrieg­eschichte so relevanten Baus. Auch die Rolle der Saurer-Lkw als „Gaswagen“bei der Judenverni­chtung durch die Nationalso­zialisten war Thema.

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FOTO: ISA Kunsthisto­riker Henning Stibbe erzählt im Historisch­en Verein die kurze, aber bedeutende Geschichte der Lkw-Produktion in Lindau.

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