Boris Johnson rechnet mit May ab
Ex-Außenminister wirft Premierministerin vor, Brexit-Chancen zu verspielen
LONDON - Der frühere britische Außenminister Boris Johnson hat seine erste Parlamentsrede seit dem Rücktritt für eine scharfe Abrechnung mit Premierministerin Theresa May genutzt. Im Londoner Unterhaus warf Johnson seiner Parteikollegin am Mittwoch vor, die Chancen des EUAustritts zu verspielen. Mays BrexitPläne würden Großbritannien zum „wirtschaftlichen Vasallen“der EU machen, warnte Johnson. May verfolge einen „Brexit nur dem Namen nach“.
Anstatt die „ruhmreiche Vision“des Brexit umzusetzen, wirke die Politik der Regierung so, „als ob ein Nebel des Selbstzweifels niedergegangen sei“, beklagte der Konservative. Johnson ist ein profilierter BrexitHardliner, innerhalb der zerstrittenen konservativen Regierungspartei werden ihm Ambitionen auf das Amt des Premierministers nachgesagt. May strebt hingegen auch nach dem Ausscheiden enge wirtschaftliche und regulatorische Bindungen an die EU an. Aus Protest gegen diesen Kurs hatte Johnson kürzlich seinen Rücktritt erklärt.
Aufforderung zur Kurskorrektur
In seiner Parlamentsrede am Mittwoch sagte er: „Es ist noch nicht zu spät, den Brexit zu retten.“Bei den Verhandlungen mit Brüssel gebe es „immer noch Zeit“. Wenn die Premierministerin ihren Kurs korrigiere, könne sie immer noch „einen großartigen Brexit für Großbritannien“umsetzen. Durch ihren unentschlossenen Kurs habe die britische Regierung allerdings „viel Verhandlungskapital verspielt“, kritisierte Johnson.
Kritisch sieht Johnson unter anderem, dass Großbritannien dem Europäischen Gerichtshof eine Rolle in den künftigen Beziehungen mit der EU zubilligen will. Er kritisierte auch die Zusage Londons, eine Schlussrechnung in Höhe von 40 bis 45 Milliarden Euro zu begleichen. Am schlimmsten sei aber gewesen, dass man der Frage um eine feste Grenze in Irland so großen Raum eingeräumt habe, sagte Johnson. Technische Lösungen für Grenzkontrollen seien ohne Prüfung verworfen worden.
Kompliziertes Zollabkommen
Die Frage nach Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland gilt als kniffligstes Problem der Brexit-Verhandlungen. Eigentlich wollen alle Seiten Kontrollen verhindern, doch es ist unklar, wie das gehen soll, wenn Großbritannien die Europäische Zollunion verlässt und es dann zwischen Irland und Nordirland eine EU-Außengrenze gibt.
Die Mitglieder einer Zollunion vereinbaren gemeinsame Außenzölle. Kontrollen an den Binnengrenzen sind daher überflüssig. London will sich davon aber lossagen, um eigene Freihandelsabkommen mit Drittstaaten wie den USA und China zu schließen.
May will das Problem mithilfe eines komplizierten Zollabkommens mit der EU lösen. Dabei soll Großbritannien an seinen Häfen zwei verschiedene Zollsätze erheben: einen für Waren, die für die EU bestimmt sind, und einen anderen für Güter, die in Großbritannien bleiben. Diesen Plan bezeichnete Johnson am Mittwoch als „wunderlich“.
Unerfreulich wird es für die Premierministerin auch dann, wenn Angehörige der eigenen Fraktion sprechen. Wann denn die Regierung beschlossen habe, will die Tory-Abgeordnete Andrea Jenkyns am Mittwoch wissen, „dass der Brexit neuerdings den EU-Verbleib bedeutet“. May muss kurz schlucken, bleibt aber höflich, ehe sie der „ehrenwerten Parteifreundin“einen bewährten Slogan um die Ohren schlägt: „Brexit bedeutet Brexit.“