Kritischer Rapport über eine Kunstschule
Die Malerin Christa Näher über ihre Zeit als Professorin an der Städelschule Frankfurt
WOLFEGG – 26 Jahre hat Christa Näher an der Städelschule in Frankfurt als Professorin gelehrt. Eigentlich wollte die seit gut 15 Jahren in Wassers‚ Gemeinde Wolfegg lebende Malerin nur ein Jahr am Städel bleiben, weil sie sich schon als Studentin der Berliner Kunstakademie „nie richtig gefühlt habe“. Doch dann kam ein Anruf von Kaspar König, vom charismatischen Chef der Städelschule – und Christa Näher blieb. Jetzt hat sie ein ganz und gar ungewöhnliches Buch vorgelegt, in dem sie ihre Städel-Zeit aufarbeitet.
Erinnerungen will sie das 368-Seiten-Epos nicht nennen, sondern Aufarbeitung. Das reich illustrierte Werk (leider nur schwarz-weiß), eigentlich eine Dokumentation, ist in gewisser Weise auch eine Abrechnung mit den Zuständen an einer der wichtigsten Kunsthochschulen Deutschlands, die sich im Laufe der Jahre mehr und mehr kommerzialisiert hat. Bitter zitiert Christa Näher die Fürstin Gloria von Thurn und Taxis, die dem „Spiegel“einst gesagt hat: „Was Kunst heute ist, bestimmen wir, der Herr Flick und ich; denn wir haben das Geld“.
Selten las man einen so offenherzigen, kritischen Rapport über das Innenleben einer deutschen Kunsthochschule wie den der Christa Näher. Es ist auch ein Beispiel dafür, wie Frauen in der Kunstwelt diskriminiert wurden. Weil sie immer als Honorarprofessorin eingestuft blieb und nie verbeamtet wurde, bekommt sie heute eine sehr viel geringere Rente. Ein klassisches Frauenschicksal, kommentiert die Malerin dies heute. Hochnotpeinlich für eine renommierte Kunsthochschule, deren erste Professorin Christa Näher gewesen ist.
Christa Näher, 1947 in Lindau geboren, ist keine populäre Künstlerin. Am meisten kränkt es sie, dass sie als „Pferdemalerin“charakterisiert wird. Schon seit den 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts bedient sich die stets dem Figurativen verbundene Malerin mythologischen Figuren wie dem Minotaurus und dem Zentaurus als Projektionen persönlicher Ängste und Gefühle, wie es in einem Kunstführer heißt. Hinzu kommt bis heute die Motivik des Pferdes, Metaphern des Widerstreits ungebändigter Triebe sowie düsterer Todesträume. Die Künstlerin bezeichnete diese Bilder als Selbstporträts. Ihr motivisches und inhaltlich geheimnisvolles Nestwerk erweiterte Christa Näher um Tänzer, Hexen, Todes-Thematik und der Vanitas-Symbolik, wie sie bei genauem Hinschauen auch in den äußerlich so farbenprächtigen Barockkirchen Oberschwabens zu erkennen sind. Das Postulat: Werde, der du bist, beantwortet sie mit dem Bekenntnis: Ich bin viele.
Wer wie die hochgebildete, belesene Christa Näher sagt, meine Geschichte beginnt vielleicht vor 10 000 Jahren, wird in dieser sachbe- zogenen, realen Welt kaum erst genommen. Sie selbst spricht von ihrer triebhaften Verbundenheit mit der Natur. Ihre Bilder sind Visionen. „Ich spüre die uralten Zeiten“, schrieb sie einmal.
Versöhnliche Töne zum Schluss
In ihrem Buch über die Städelschule schildert sie auch Träume, Traumata, veröffentlicht zahlreiche eigene Briefe, Rezensionen, eigene Gedichte, eine Fülle von Fotos, auch eigener Bilder und viele Briefe ihrer Schüler (innen), die ihr eng verbunden waren. Einer schrieb: „Christa vermittelte uns ein Gespür für die zeitlosen, mysteriösen und unbegreiflichen Elemente des Lebens, die in der schnelllebigen Großstadtrealität von heute gerne mal ausgeblendet werden.“
Christa Näher erlebte in der Städelschule die Crème de la crème der deutschen Kunstelite. Der große Däne Per Kirkeby, unlängst verstorben, war ihr Ateliernachbar, Raimer Jochims der andere, auch Hermann Nitsch, Jörg Immendorff und Ulrich Rückriem gehörten zu ihren Kollegen. Viele andere wie Martin Kippenberger, Georg Herold, Gerhard Richter lernte sie schon früher kennen.
Am Endes ihres Buches findet die Malerin Christa Näher aber auch versöhnliche Töne: „All das bleibt in meiner Erinnerung auf das Wärmste gespeichert.“