Diese Kunst legt dem Markt Steine in den Weg
Mit Humor kritisiert Maria Anwander im Kunstverein Friedrichshafen den Kunstmarkt und soziale Medien
FRIEDRICHSHAFEN (rup) - Nur die Fitten profitieren von der Kunst. Diese Erfahrung macht man in der Ausstellung der gebürtigen Bregenzerin Maria Anwander im Kunstverein Friedrichshafen. Ein dickes Tau hängt nämlich von der Decke. Und wer wissen will, was es oben auf der Galerie zu sehen gibt, muss kräftig genug sein, sich daran hochzuhangeln. Natürliche Auslese im Kunstbetrieb? Das kennt man sonst nur auf Seiten der Künstler, wo die wenigsten den Durchbruch schaffen.
Maria Anwander gelingt eine leicht zugängliche Ausstellung mit Arbeiten, die Witz mit Tiefgang ver- binden. Bestes Beispiel ist die Arbeit „Press release“: Ein 15-seitiges Kauderwelsch aus Sonderzeichen. „Maria Anwander hat ihren einseitigen Pressetext zur Ausstellung vom PDF-Format in Word umgewandelt“, erklärt Kurator Julian Denzler. Der Sonderzeichensalat ist das Ergebnis. Der Witz daran: Sie hat den Text so auch an die Zeitungen verschickt. „Fünf Redaktionen haben bei uns angerufen. Alle dachten, da sei wohl was schiefgelaufen“, sagt Denzler.
Auch die Arbeit „Synopsis“zeigt, dass Anwander Sand ins Kunstgetriebe streut. Das Werk besteht aus zwei Neonröhren. Sie bilden einen rechten Winkel, daneben leuchten die Zahlen „64“und „104“. Das sind die Zentimeterlängen dieser Röhren; also ist dies Kunst, die im Wesentlichen aus Größenangaben besteht. Und die Größe ist, neben dem Namen des Künstlers, die Grundlage zur Berechnung des Verkaufspreises von Kunst. So primitiv funktioniert, zusammengefasst, der Kunstmarkt. Und „Zusammenfassung“ist auch die deutsche Übersetzung des Begriffes „Synopsis“. Anwanders Arbeit ist also eine kompakte Kritik am Kunstmarkt. Kompakt kommentiert sie auch die Bildwelten des Internets – mit einem Felsbrocken, auf dem eine Neonschrift befestigt ist: „#stone“. Ein genauerer Blick zeigt aber, dass dieser Stein eine bemalte Imitation ist; klopft man daran, tönt’s hohl. Hohl, wie wohl auch ein Großteil der ins Netz gestellten Fotos in den sozialen Medien. Hinter wie vielen stehen authentische Erlebnisse? Wie viele Situationen werden nur simuliert, um sie ins Netz zu stellen? Was wird einzig und allein erlebt, um darüber zu posten? Selbst der Echtheitscharakter des wirklich Erlebten wird auf diese Weise ausgehöhlt.
Sozial- und gesellschaftskritisch ist auch eine Reihe von Fotografien. Sie zeigen Künstler, Politiker und Widerstandskämpfer. Alle haben im Dritten Reich für ihre Oppositionshaltung teuer bezahlt. Maria Anwander will diese „Heldengalerie“aber nicht zu Ikonen machen, im Gegenteil: Sie tarnt diese Gesichter und überzieht sie deshalb mit grafischen Elementen, die ans Bauhaus erinnern. „Durch die Bemalung funktioniert die Gesichtsfokussierung der Handy-Kameras nicht mehr“, erklärt Denzler. Der nächste Schritt wäre die automatische Gesichtserkennung, die Gesichtern Namen zuordnen kann. Mit Rückgriff auf die NaziDiktatur warnt Anwander hier also vor möglichen Auswirkungen heutiger Kontrolltechniken: der Überwachung öffentlicher Plätze durch Kameras mit Gesichtserkennung.
Die Ausstellung endet düster: in einem schwarzen Kabinett, mit einer Diskokugel. Nur noch vereinzelt kleben Spiegelplättchen auf ihr. Die meisten liegen wie tote Insekten auf dem Boden. Die Traumwelt hat ausgeflackert – die Diskokugel wirft einen Schatten, der an eine Sonnenfinsternis erinnert, umflimmert von den Kometenlichtern der letzten verbliebenen Spiegelplättchen. Ein Weltuntergang?