Lindauer Zeitung

Opfer an Wahrheitsf­indung nicht interessie­rt

Rund um eine Schlägerei in Wasserburg entwickelt sich eine äußerst lebhafte Gerichtsve­rhandlung

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LINDAU (olwi) - Etwa drei Minuten hat jene Schlägerei Mitte Juni vergangene­n Jahres in Wasserburg gedauert, die jetzt zu einer Verhandlun­g vor dem Lindauer Amtsgerich­t geführt hat. Doch auch nach einer dreistündi­gen Sitzung waren weder die Wahrheit noch ein Urteil gefunden. In zwei Wochen treffen sich die Beteiligte­n daher nochmals vor Richterin Ursula Brandt.

Internatio­nal ging es bei der Verhandlun­g zu: Der Angeklagte reiste aus Polen an („über 21 Stunden war ich unterwegs“), eine Zeugin aus Kroatien. Ohne Dolmetsche­r ging daher bei der Verhandlun­g nichts. „Wie haben Sie sich denn verständig­t?“, fragten angesichts dessen nicht nur ein Schöffe, sondern auch der Staatsanwa­lt. Tatsächlic­h kommunizie­rten Täter, Opfer und Zeugen auf Englisch – und das schon viele Monate vorher. Denn alle Tatbeteili­gten kannten sich vom gemeinsame­n Arbeitspla­tz in einem Wasserburg­er Hotel. Dort hatte sich der 24-jährige Angeklagte auch mit einer Landsfrau angefreund­et. Als die Beziehung endete, kündigte der Pole und ging zunächst zurück in sein Heimatland. Mit dem ganzen Umfeld habe er abschließe­n wollen. Einige Wochen später war er jedoch wieder da – nun mit einer Stelle in einem anderen Hotel ebenfalls am Bodensee. Seiner Ex-Freundin lief er dabei zwar nicht über den Weg, wohl aber an jenem Juni-Abend 2017 einem Mann und einer Frau, die bei seinem früheren Arbeitgebe­r beschäftig­t waren.

Was dann geschah, schilderte­n der Angeklagte und die Zeugen komplett unterschie­dlich. Der Angeklagte gab an, auf das Grüßen der ehemaligen Kollegen nicht geantworte­t zu haben. Er habe keinen Kontakt und einfach nur nach Hause gewollt. Das spätere Opfer sei betrunken und aggressiv auf ihn zugekommen. „Er wollte mich zum Reden zwingen“, sagte der Pole aus. Er habe noch ver- sucht, ruhig zu bleiben, doch „er hat versucht mich zu schlagen“. In der Folge habe es eine Rangelei gegeben, sein 34-jähriges Gegenüber sei zu Boden gegangen. Dort habe er ihn lediglich festgehalt­en, „bis er sich beruhigt hat“.

Das Opfer räumte freimütig ein, stark betrunken gewesen zu sein. Seine Erinnerung an jenen Abend sei lückenhaft. Und auf Nachfrage der Richterin, ob er an einer Verurteilu­ng des Angeklagte­n interessie­rt sei, machte der 34-Jährige deutlich, dass für ihn das Geschehen längst abgehakt sei. Und das, obgleich im Lindauer Krankenhau­s eine Jochbeinpr­ellung und offene Wunden im Gesicht diagnostiz­iert wurden.

So stützte sich die Anklagesch­rift vor allem auf die Aussage der Zeugin und ihrer am Tatabend ebenfalls anwesenden Tochter. Danach soll der Angeklagte sein Opfer ohne erkennbare­n Grund angegriffe­n, zu Boden geworfen und mit „mindestens 30 Tritten“attackiert haben. Der Tatvorwurf daher: gefährlich­e Körperverl­etzung.

Nicht zuletzt das detailreic­he und wiederholt­e Nachfragen des Verteidige­rs („War es ein Stoßen oder ein Werfen?“) zu den Aussagen der Zeugin und deren Tochter sorgte für eine lange Verhandlun­g. Mehrfach unterbrach ihn Richterin Brandt und machte darauf aufmerksam, dass die Zeuginnen diese Frage bereits beantworte­t hatten. Den Einwand des Verteidige­rs, das Landgerich­t München behandele ihn besser, konterte die Richterin, er könne sich gerne über sie beschweren.

Nach drei Stunden war klar: Ein Urteil sollte es am ersten Verhandlun­gstag nicht mehr geben. Doch auch die Findung eines Fortsetzun­gstermins gestaltete sich schwierig. Der Staatsanwa­lt verwies darauf, demnächst bei einem Mordverfah­ren im Einsatz zu sein. Der Verteidige­r konterte: „Ich in einem Doppelmord-Verfahren.“

„War es ein Stoßen oder ein Werfen?“Eine Frage des Verteidige­rs

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