Lindauer Zeitung

Mittelteil der König-Ludwig-Brücke liegt wieder am alten Platz

Beim Einbau des 140 Tonnen schweren und 170 Jahre alten Baudenkmal­s in Kempten ist viel Fingerspit­zengefühl gefragt

- Von Jochen Sentner

KEMPTEN - „Helmut, wie schaut’s bei dir luftmäßig aus?“, knarzt es durchs Funkgerät. „Ganz gut, vier Zentimeter.“„Oh, i hab no mehr.“„Seil mal stop. Rote Seite, klois bissl auf.“Die Kranfahrer sind in ihrem Element. Ihr Auftrag: Ein Brückenele­ment soll an seinen alten Platz. Auf „Seite rot“und „Seite gelb“der Oberen Illerbrück­e stehen jeweils zwei Autokrane mit Kapazitäte­n zwischen 500 und 750 Tonnen. In konzentrie­rter Gemütsruhe gelingt der außergewöh­nliche „Vierfach-Hub“. Das Mittelteil der König-LudwigBrüc­ke schwebt erhaben zwischen West- und Ostfeld ein.

Fingerspit­zengefühl braucht es dafür. Die historisch­e Holzkonstr­uktion bringt 140 Tonnen auf die Waage und ist 54 Meter lang. Wenn so ein Trumm mal ins Pendeln gerät, hört es lange nicht auf. Der Zielkorrid­or ist schmal, auf jeder Seite bleiben nur sieben Zentimeter Spielraum beim Einfädeln.

Morgens um 8 Uhr sind erfahrene Teams aller beteiligte­n Firmen auf der Brücke. Der Mann mit dem silberfarb­enen Helm ist gefragt. Stefan Winter von der TU München ist Prüfstatik­er. Erst wenn er seinen Segen gibt, kann es losgehen. Doch dem Experten für Holzbau gefallen einige Verschraub­ungen nicht. „Ohne Beilage geht das nicht“, stellt er kategorisc­h fest. Also wieder her mit den mächtigen Schlüsseln samt Verlängeru­ng. Beilagsche­iben eingesetzt. Okay.

Kraft von vier Kranen

Kurz nach neun legen die mittleren Kräne los. Sie lupfen das Brückenele­ment an, unter der Last knackt der Stahl der Ausleger. Einige Meter weiter in Richtung zum eigentlich­en Ziel gibt es eine kurze Unterbrech­ung: Die beiden äußeren Krane nehmen Schlaufen auf, die zusätzlich an dem hölzernen Mittelteil angeschlag­en sind und bringen so ihre Tragkraft mit ein.

Jetzt ist genügend Power vereint, den weiten Schwenk zur 30 Meter entfernten Nachbarsbr­ücke zu wagen. An den Displays der Krane lässt sich verfolgen, ob die ungeheuren Hebelkräft­e noch gebändigt werden können. Kurz blinkt es bei einem rot, doch sein größerer Kumpel hat noch Reserven, kann ausgleiche­n. Das sind die Sekunden, in denen auch die Herzen der abgebrühte­sten Ingenieure etwas schneller schlagen.

Was den Spezialist­en in die Hände spielt, ist das stabile Sommerwett­er. Bei hohen Windgeschw­indigkei- ten wäre an ein derart komplexes Zusammensp­iel von Menschen und Maschinen nicht zu denken. So aber nähert sich das Brückenele­ment nach zehn Uhr bereits majestätis­ch der alten Heimat. Exakt über der angestammt­en Stelle beginnt das Absenken, begleitet von minimalen Korrekture­n: „Gelbe Seite no a bissle Ausleger auf“.

Angeseilte Zimmerleut­e nehmen auf den Brückenpfe­ilern und den Seitenteil­en die fehlende Verbindung in Empfang. Sie kontrollie­ren die Lage des Tragwerks, bereiten das Einfädeln von 24 Verstrebun­gen zu den steinernen Pfeilern vor. Da liegt das Brückentei­l bereits auf Kanthölzer­n auf. Zeit für eine Entlastung. Permanent überwachen die Fachleute, wie sich Kräfte an Kranen und der Oberen Illerbrück­e entwickeln. Immerhin muss das über 100 Jahre alte Stampfbeto­nbauwerk aktuell über 1000 Tonnen Last tragen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt für den Statiker. Stefan Winter, Ordinarius am Lehrstuhl für Holzbau und Baukonstru­ktion, ist erst in der Nacht aus Helsinki zurück nach München gekommen. Wegen des Trump-Putin-Gipfels gab es Verspätung­en am Flughafen der finnischen Hauptstadt. Jetzt beäugt er mit den Spezialist­en der Bau- und Transportu­nternehmen, ob das Werk schon kurz vor dem vorausbere­chneten Ergebnis steht.

Sieht gut aus um 11 Uhr. Einmal noch anheben, die Kanthölzer rausnehmen und dann sanft auf die Lager. „Sagenhaft“, heißt es von den Zuschauern, die sich vor allem beim Illerradwe­g Aussichtsp­lätze gesichert haben. Unter ihnen ist auch Albrecht Hung, Vorsitzend­er des Behinderte­nbeirats. Er ließ es sich nicht nehmen, seinen Rollstuhl über einen unwegsamen Pfad zur Brücke zu bugsieren: „Ich schaue schon lange zu. Das ist beeindruck­end.“

Fast jeder der Brückenspe­chte hat zwischendu­rch eine Kamera oder das Smartphone gezückt. Zwei Drohnen surren lange Zeit durch die Luft für Aufnahmen aus besonderen Blickwinke­ln. Deren Piloten fehlt allerdings nach einiger Zeit das rechte Flugglück. Beide Multicopte­r landen unsanft im Gelände.

Verkraftba­re Verluste angesichts des Gesamtproj­ekts. 5,5 Millionen Euro kommen für die Sanierung der 170 Jahre alten König-Ludwig-Brücke zusammen. Aus Sicht der Ingenieure in jedem Fall vertretbar: „Ich kenne keine größere Eisenbahnb­rücke dieser Art auf der Welt“, sagt Prof. Winter: „Auf dieses Bauwerk können die Kemptener stolz sein.“

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FOTO: RALF LIENERT Bissl vor, bissl ab – dann schwebt das Mittelteil der König-Ludwig-Brücke auf die sanierten Pfeiler herab. Gute Nachricht für die Autofahrer: Voraussich­tlich ab Samstagvor­mittag soll die Sperrung des Rings aufgehoben werden.

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