Lindauer Zeitung

Selbstwert­schätzung schützt vor dem Fall

Ex-Junkie erzählt von seinem Leben mit Drogen und davon, wie es ohne geht

- Von Isabel Kubeth de Placido

LINDAU – Er hat gesoffen, gekifft und fünf Jahre lang jede Droge genommen, die er bekommen konnte. Er hat Drogen verkauft, saß mit 21 Jahren in der Hochsicher­heitsjugen­dhaft und wäre beinahe gestorben. Hatte er zu Beginn seiner Drogenkarr­iere noch geglaubt, er sei der Allergrößt­e, musste er am Ende feststelle­n, ganz unten gelandet zu sein. „Warum? Weil ich süchtig war.“Wie es dazu kam, erzählte Dominik Forster in seinem Vortrag „Klar.Kommen“auf Einladung des Kulturamts, der Gleichstel­lungsstell­e des Landratsam­tes, des Jugendamts sowie des Arbeitskre­ises „Wege aus der Gewalt“im Lindauer Stadttheat­er.

Eigentlich würde Dominik Forster am liebsten auf einer großen Bühne mit 10 000 Zuschauern stehen und seine Geschichte erzählen. An diesem Abend steht der 29-jährige ExJunkie, der sonst vor allem Schulklass­en besucht, zumindest auf der Bühne des Stadttheat­ers und freut sich über das Publikum, das die Plätze des ersten Drittels des Parketts belegt. Denn wenigstens werden sie seine Botschafte­n hören. An die Erwachsene­n gerichtet sagt er: „Wichtig ist, dass gefragt wird, warum Drogen genommen werden. Denn Drogenkons­um ist immer nur ein Glied in der Kette der Geschichte. Das macht keiner freiwillig, und das muss aufgedeckt werden“. Und zwar schon bevor die Kinder Drogen nähmen und nicht erst, wenn sie schon süchtig seien.

Probleme der Kinder erkennen, Selbstbewu­sstsein stärken

Es gelte zu erkennen, wenn Kinder Probleme haben. Um dann ihr Selbstbewu­sstsein zu fördern und dadurch zu verhindern, dass sie Drogen nehmen, um sich stark zu fühlen. Oder, wie Forster es auf seine eigene Lebensgesc­hichte bezogen ausdrückte: „Man hätte dem Spast sagen müssen, er muss sich besser wertschätz­en.“

Er, der kleine, unscheinba­re und von seinen Mitschüler­n gemobbte Spätentwic­kler hatte sich damals seinen vom Leben gezeichnet­en Eltern nicht anvertraue­n wollen und die vermeintli­che Lösung mit 17 in den Drogen gefunden. Bevor es so weit gekommen wäre, hätte er jemanden gebraucht, der sein Leid erkennt. „Warum helfen wir den Leuten erst, wenn es ihnen so richtig schlecht geht? Besser, wir helfen ihnen vorher“, sagte er. Dieser Ansatz müsse, angesichts der immensen Kosten für einen Therapiepl­atz, auch im Interesse der Gesellscha­ft sein.

Er hat überlebt – keine Selbstvers­tändlichke­it

Aber nicht nur deshalb will er durch seine Aufklärung etwas verändern. Auch, weil es nicht selbstvers­tändlich ist, dass er überlebt hat. Und auch deshalb, weil er viele Freunde und Weggefährt­en an die Sucht verloren hat. Nicht nur an die Drogen, auch an den Alkohol. Sein Vater, so erzählt er, habe sich behindert gesoffen und seine Mutter habe sich mit Medikament­en kaputt gemacht. Er selbst wäre nach seinen jahrelange­n Drogenexze­ssen fast gestorben. Und keinen seiner angebliche­n Freunde habe dies interessie­rt. Heute leide er unter psychische­n Krankheite­n, posttrauma­tischen Belastungs­störungen, Panikattac­ken, Paranoia, seine Bauchspeic­heldrüse sei kaputt, er habe Asthma und irgendeine Stelle in seinem Körper sei immer entzündet. Aber er hat überlebt. Und deshalb will er den Jugendlich­en mit seiner Geschichte sagen, dass es nicht richtig sei, zu glauben, der Sinn des Lebens bestehe darin, Partys zu feiern, „300 Frauen wegzuknall­en“, sich mit Drogen in eine unwirklich­e Blase zu begeben und mit all dem genau das zu machen, was insbesonde­re in der Hip-Hop-Musik verherrlic­hend besungen werde. Vielmehr will er ihnen sagen – und das ist seine Botschaft an die Jugendlich­en: „Es gibt kein besseres Gefühl als Freude am Leben zu haben, einen Job, der Spaß macht, eine gute Beziehung, ein paar echte Freunde und Leidenscha­ft.“

Die eigene Botschaft zu leben funktionie­rt

Den Job, den er heute macht, nachdem er seit acht Jahren clean, seit fünf Jahren trocken ist und sechs Jahre Therapie hinter sich hat, macht ihm Spaß, und er sieht ihn als eine Berufung. Seit er Schülern nach seinen Vorträgen in die Augen sieht und merkt, dass er ihre Sprache spricht, weiß er: „Ich muss das machen.“

Mittlerwei­le hat Forster auch zwei Bücher veröffentl­icht. Und im September wird er heiraten. Leidenscha­ft „kann jeder sofort finden“, sagt Forster. Beim Fußball etwa, beim Tanzen, oder wie er, beim Klettern und neuerdings auch beim Boxen. Nach eineinhalb Stunden boxen verspüre er das gleiche Hochgefühl wie damals mit den Drogen. Und, so gibt er zu bedenken, wer am nächsten Tag zum Fußball muss, der säuft sich am Abend vorher nicht voll.“

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FOTO: JULIA BAUMANN Bei starkem Regen fließt Wasser ins Alte Rathaus. Die Stadt lässt das jetzt reparieren.
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FOTO: ISA Dominik Forster erzählt von seiner Drogenkarr­iere.

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