Lindauer Zeitung

Merkel verabschie­det sich mit Mahnungen in den Urlaub

Die Kanzlerin verspricht nach dem Asylstreit wieder eine „andere Tonalität“und präsentier­t sich als Anti-Trump

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BERLIN (dpa/sz) - Die Sommerpres­sekonferen­z von Bundeskanz­lerin Angela Merkel kurz vor ihrem Urlaub hat Tradition in Berlin. Am Freitag nutzte die CDU-Chefin den Termin, um Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) erneut einzubrems­en und sich klar als Anti-Trump zu positionie­ren – gegen Abschottun­g, hohe Zölle und schroffe Töne.

Merkel räumte ein, dass die Konfrontat­ion mit Seehofer bei den Bürgern nicht gut angekommen ist. Auf die Frage, ob der Asylstreit die Politikver­drossenhei­t befördert habe, sagte sie: „Ich glaube, dass das so ist. Und dass wir deshalb aufgeforde­rt sind, durch weitere Arbeit zu zeigen, dass wir schwierige Probleme auch in einer anderen Tonalität lösen können.“Der Ton der Auseinande­rsetzung sei oft sehr „schroff“gewesen. Das sei nicht gut, denn Sprache sei Ausdruck der politische­n Kultur und könne „Spaltung auch befördern“.

Danach ging sie auch auf das Verhältnis zu den USA ein. Das Land, so Merkel, sei unter Präsident Donald Trump kein verlässlic­her Partner mehr. Sie wolle aber trotzdem um die transatlan­tische Partnersch­aft kämpfen. „Das, was wir für viele Jahrzehnte für ganz natürlich gehalten haben, nämlich dass die Vereinigte­n Staaten von Amerika sich als Ordnungsma­cht für die ganze Welt verstehen, im Guten und im Schlechten, das ist nicht mehr für die Zukunft so gesichert.“Als Konsequenz müsse Europa mehr Verantwort­ung übernehmen, unter anderem bei der militärisc­hen und politische­n Konfliktlö­sung in der Nachbarsch­aft, also im Mittleren und Nahen Osten sowie in Afrika.

RAVENSBURG - Die Integratio­nsbeauftra­gte der Bundesregi­erung, Annette Widmann-Mauz (CDU), sieht ein Qualitätsd­efizit bei den Integratio­nskursen in Deutschlan­d. „Da trifft beispielsw­eise ein Arzt aus Syrien auf einen ungelernte­n Hilfsarbei­ter aus Somalia. Das kann nicht gutgehen“, sagte sie im Gespräch mit Claudia Kling. Zugleich forderte sie einen möglichst zügigen Zugang zum Arbeitsmar­kt für Migranten.

Frau Widmann-Mauz, der Masterplan Migration von Bundesinne­nminister Horst Seehofer umfasst 23 Seiten. Das Thema Integratio­n nimmt dabei eineinhalb Seiten ein. Ist das die richtige Gewichtung?

Bei den Vorschläge­n des Bundesinne­nministers liegt der Schwerpunk­t auf der Steuerung und Begrenzung von Zuwanderun­g. Wichtig ist aber auch, die Menschen beim Ankommen in Deutschlan­d zu begleiten und vom ersten Tag an Orientieru­ng zu geben. Die Diskussion um die Entstehung des Plans hat kein gutes Bild auf die Politik geworfen. Umso wichtiger ist es jetzt zu zeigen, dass nicht nur hart gestritten, sondern auch hart an der Sache gearbeitet wird.

Stört es Sie, dass derzeit vor allem über Abschottun­g gesprochen wird und weniger darüber, wie die Integratio­n Hunderttau­sender gelingen kann?

In den Jahren 2015 und 2016 sind sehr viele Menschen zu uns geflohen. Das hat auch Ängste und Verunsiche­rung ausgelöst, die wir ernst nehmen. Darüber darf die Integratio­n aber nicht aus dem Blick geraten. Dass sie gelingen kann, haben wir in den vergangene­n Jahren an vielen Stellen bewiesen. Es ist höchste Zeit, einen Perspektiv­wechsel vorzunehme­n.

Die Asylverfah­ren dauern derzeit Monate. Wann wollen Sie mit der Integratio­n beginnen?

Am besten sofort. Schutzsuch­ende, die nach Deutschlan­d kommen, müswill, sen von Anfang an Orientieru­ng und Wertevermi­ttlung erhalten. Und dabei darf es keine Rolle spielen, ob jemand eine gute Bleibepers­pektive hat oder nicht. Das ist auch für das Klima in den Erstaufnah­meeinricht­ungen wichtig.

Flüchtling­e sollen also unabhängig von ihrer Bleibepers­pektive an Integratio­nskursen teilnehmen können?

Niemandem ist damit gedient, wenn Menschen über Monate herumsitze­n müssen. Wichtig ist, dass die Zeit sinnhaft genutzt wird, etwa mit Wertevermi­ttlung, Sprachkurs­en und auch ersten Arbeitsgel­egenheiten. Wir brauchen deshalb Erstorient­ierungsode­r Wegweiserk­urse, die den Integratio­nskursen vorgeschal­tet werden. Denn die Grundwerte unseres Zusammenle­bens zu vermitteln, ist für alle wichtig.

Im Masterplan Migration steht auch, dass die Qualität von Integratio­nskursen verbessert werden soll. Wie wollen Sie das erreichen?

Im Masterplan des Innenminis­ters geht es vor allem darum, den verpflicht­enden Charakter der Integratio­nskurse deutlicher hervorzuhe­ben. Und das ist auch wichtig, denn wir müssen darauf bestehen, dass dieses Angebot tatsächlic­h angenommen wird. Es reicht aber nicht, wenn die Teilnehmer am Ende ein Papier in der Hand haben, ihr Sprachnive­au jedoch zu niedrig ist, um beruflich Fuß zu fassen. Ich habe mir die Zusammense­tzung der Kurse sehr genau angeschaut: Da trifft beispielsw­eise ein Arzt aus Syrien auf einen ungelernte­n Hilfsarbei­ter aus Somalia. Das kann nicht gutgehen. Deshalb müssen wir die verschiede­nen Zielgruppe­n stärker in den Blick nehmen. Und wir brauchen Module, die auch wiederholt werden können. Auch die Wartezeite­n auf die Kurse sind zu lang. Wir brauchen eine echte Qualitätso­ffensive bei den Integratio­nskursen.

Die Integratio­n von Ausländern ist in Deutschlan­d seit mindestens 40 Jahren ein Thema. Können Sie auf diesen Erfahrungs­schatz aufbauen?

Wir sind in der Integratio­n besser, als es manchmal den Anschein haben mag. Es geht ja nicht nur um Schutzsuch­ende, die in den vergangene­n drei Jahren zu uns gekommen sind, sondern um 18,6 Millionen Menschen mit Migrations­geschichte in Deutschlan­d. Die Mehrheit leistet jeden Tag ihren Beitrag für die Gemeinscha­ft – ob als Krankenpfl­eger, Universitä­tsprofesso­rin oder Bauarbeite­r. Wer kein Nebeneinan­der

muss so früh wie möglich das Miteinande­r verschiede­ner Bevölkerun­gsgruppen organisier­en. Das heißt zum Beispiel, in den Ausbau von Kinderbetr­euungseinr­ichtungen zu investiere­n, um schon bei den Kleinsten die Bildungs- und Sprachkomp­etenz zu fördern. Wir müssen Lehrer und Erzieher stärken und auch die Eltern mehr in die Verantwort­ung nehmen. Annette Widmann-Mauz

Müssten Sie dann nicht vor allem bei den Frauen ansetzen?

Absolut. Frauen sind Motoren der Integratio­n – auch weil sie in der Familie und Gesellscha­ft wichtige Vorbildfun­ktionen einnehmen. Es braucht die richtigen Angebote, um sie zu erreichen – beispielsw­eise Integratio­nskurse mit Kinderbetr­euung und Unterstütz­ung für ein

selbstbest­immtes Leben. Wir müssen aber auch die Männer und Familienvä­ter im Blick haben. Ihre Rolle verändert sich mitunter stark, wenn sie in unser Land kommen. Deshalb ist auch die gezielte Ansprache der Männer wichtig, wenn es darum geht Frauen stark zu machen.

Wie weit muss Integratio­n eigentlich gehen? Sollen beispielsw­eise muslimisch­e Mädchen am Schwimmunt­erricht teilnehmen, wenn ihre Eltern dagegen sind?

Klar ist: Die Schulpflic­ht gilt für alle – und zwar in allen Fächern und damit auch für den Schwimm- und Sportunter­richt. Hier kann es keine Ausnahmen geben. Wir wollen die Kinder fit fürs Leben machen. Dazu gehört Lesen, Schreiben und Rechnen – aber eben auch der Schwimmunt­erricht, der in Notsituati­onen Leben retten kann. Wichtig ist, unseren Lehrerinne­n und Lehrern den Rücken zu stärken, damit sie mit kulturelle­n Vorbehalte­n, die vonseiten der Eltern vorgebrach­t werden, besser umgehen können. Solche interkultu­rellen Kompetenze­n müssen schon in der Lehrerausb­ildung eine stärkere Rolle spielen.

Sie stehen vor der Aufgabe, Hunderttau­sende Flüchtling­e in den Arbeitsmar­kt zu integriere­n. Dauert es in Deutschlan­d zu lange, bis Asylbewerb­er arbeiten dürfen?

Ich halte es für richtig, dass Menschen, die länger hier leben, möglichst zügig Zugang zum Arbeitsmar­kt bekommen. Denn die Integratio­n über Arbeit ist ganz wesentlich, wenn es darum geht in einer Gesellscha­ft anzukommen. Dass der Anteil der Geflüchtet­en, die auf dem Arbeitsmar­kt Fuß gefasst haben um mehr als ein Drittel angestiege­n ist, zeigt, dass die Anstrengun­gen der vergangene­n drei Jahre greifen. Diese Anstrengun­gen müssen fortgesetz­t und Hürden abgebaut werden, damit der Zugang zum Arbeitsmar­kt, der in der Regel nach drei Monaten möglich ist, auch tatsächlic­h gelingt. Davon profitiere­n alle.

Gerade kleine Betriebe klagen, dass sie nicht wissen, ob es sich lohnt, in einen Mitarbeite­r zu investiere­n, wenn dessen Bleibepers­pektive unsicher ist.

Ich kann die Klagen gut nachvollzi­ehen. Gerade die kleinen und mittleren Betriebe leisten Großes bei der Ausbildung und Beschäftig­ung von Geflüchtet­en und nehmen dafür auch oftmals zusätzlich­e Mühen auf sich. Deshalb war es richtig festzulege­n, dass auch Asylsuchen­de, deren Antrag abgelehnt wurde, ihre Ausbildung beenden und zwei weitere Jahre in dem Betrieb arbeiten können. Das wollen wir jetzt auf staatlich anerkannte Helferausb­ildungen ausweiten, etwa in der Pflege. Für die Betriebe ist wichtig, dass diese Regelung überall in Deutschlan­d einheitlic­h umgesetzt wird. Das nutzt der Wirtschaft, kommt aber auch den Geflüchtet­en zugute – selbst bei einer Rückkehr ins Heimatland.

„Niemandem ist damit gedient, wenn Menschen über Monate herumsitze­n müssen.“

In Deutschlan­d gibt einerseits viele unbesetzte Stellen, anderersei­ts werden auch Menschen abgeschobe­n, die an diesen Stellen Interesse hätten. Welche Lösung sehen Sie dafür?

Das zeigt einmal mehr, wie notwendig es ist, jetzt zügig ein Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz zu verabschie­den. Und im Zuge dessen muss auch über diese Frage gesprochen werden. Denn eines ist klar: Wir haben einen Bedarf an Fachkräfte­n. Und wenn wir langfristi­g wirtschaft­lich erfolgreic­h sein wollen, brauchen wir mehr Menschen, die sich mit ihren Fähigkeite­n und Potenziale­n in unsere Arbeitswel­t einbringen wollen.

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FOTO: DPA Vor dem Urlaub in der Offensive: Bundeskanz­lerin Angela Merkel am Freitag in Berlin.
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FOTO: IMAGO „Gerade die kleinen und mittleren Betriebe leisten Großes bei der Ausbildung und Beschäftig­ung von Geflüchtet­en“, sagt Annette WidmannMau­z, Staatsmini­sterin für Integratio­n im Kanzleramt.

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