Hausbesetzer
„Es ist noch nicht zu spät, um den Brexit zu retten.“Mit diesem Satz meldete sich Boris Johnson diese Woche im britischen Unterhaus zurück. Mehr als eine Woche lang hatte der als Außenminister zurückgetretene Politiker geschwiegen. Erst dann griff er die Pläne von Premierministerin Theresa May für den EU-Austritt an.
Vielleicht lag die ungewöhnlich lange Schweigeperiode an privaten Schwierigkeiten – der 54-Jährige braucht nämlich nicht nur ein neues Büro, sondern vor allem eine Unterkunft für sich und seine umfangreiche Familie. Das liegt daran, dass dem Außenminister Ihrer Britannischen Majestät eine edle Residenz mitten in London zusteht. Die wurde in den 1820er-Jahren vom berühmten Architekten John Nash gebaut als Teil eines Ensembles, das bis heute die Paradestraße The Mall überragt und den Blick in den St. James’s-Park bietet. Manche von Johnsons Vorgängern lebten im Bewusstsein der Kurzlebigkeit politischer Ämter und verzichteten auf die fürstliche wie spottbillige Unterbringung.
Johnson hingegen zog mit seiner Frau Marina Wheeler, einer Rechtsanwältin und EUHasserin, und den gemeinsamen vier Kindern vor zwei Jahren ihr geräumiges Haus im NordLondoner Stadtteil Islington gegen die Minister-Residenz ein.
Aus und vorbei. Verzweifelt, scheint es, sind Johnson und seine Frau auf der Suche nach einer adäquaten Unterkunft, schließlich pocht Nachfolger Jeremy Hunt an die Tür. Das Islingtoner Haus ist zu lukrativem Preis langfristig vermietet und deshalb keine Option.
Schon wettern politische Kontrahenten wie die LabourAbgeordnete Catherine West, der Ex-Minister gleiche „einem steuerfinanzierten Hausbesetzer“; Johnson solle sich endlich davonscheren. Der Betroffene dürfte sich in einem alten Bonmot bestätigt fühlen. Im Leben, so hat Johnson in ähnlicher Lage einmal gesagt, gebe es „keine Desaster, nur Chancen. Und natürlich Chancen für neue Desaster.” Sebastian Borger