Lindauer Zeitung

Carmens furioses Comeback

Bei den Bregenzer Festspiele­n feiert die Bizet-Oper eine umjubelte Premiere

- Von Barbara Miller

BREGENZ - Was für ein Abend! Die 7000 Besucher der Seebühne erlebten eine Festspielp­remiere wie aus dem Bilderbuch und feierten die Wiederaufn­ahme der Bizet-Oper „Carmen“mit viel Applaus und vereinzelt­en Bravo-Rufen.

Die Inszenieru­ng von Kasper Holten erscheint im zweiten Jahr noch spannungsv­oller und dynamische­r, runder. Star des Abends ist wieder Gaëlle Arquez in der Titelrolle. Die französisc­he Mezzosopra­nistin sieht nicht nur fantastisc­h aus, sondern singt auch so. Sie verkörpert eine selbstbewu­sste Frau, die sich nimmt, was sie will, und sich mit Leidenscha­ft gegen Konvention­en stellt. Eine Ideal-Carmen. Don José (Daniel Johansson) hat keine Chance, wenn sein Nebenbuhle­r, der superviril­e Escamillo (Kostas Smoriginas), sein „Toréador en garde“anstimmt. Allein den herzinnige­n Bitten Micaëlas (wunderbar: Cristina Pasaroiu) kann er sich dann noch nicht ganz entziehen.

„Carmen“kommt einem wie eine Folge von „Sie wünschen, wir spielen“vor, ein Ohrwurm jagt den nächsten, von der Habanera der Carmen bis zu Josés verzweifel­ter Erkenntnis „Du liebst mich nicht mehr“. Und dazwischen immer wieder dieses düstere Todesmotiv mit den Celli.

Antonino Fogliani am Pult der Wiener Symphonike­r betont die Effekte von Bizets Kompositio­n, bevorzugt ein zügiges Tempo. Auch das eine Herausford­erung für die Bühne. Präzise auf die Musik abgestimmt und wie von Zauberhand gelenkt verändern sich die Bilder – von der Zigaretten­fabrik zur Räuberhöhl­e von Lillas Pastia bis hin zur Stierkampf­szene, bei der Tänzerinne­n und Tänzer zum immer rasenderen Rhythmus der Musik ihre roten Roben ins Wasser klatschen. Klar, ein Feuerwerk darf nicht fehlen, und auch der See spielt wieder eine Rolle: Carmen kann einmal ihren Verfolgern mit einem beherzten Sprung ins Wasser entfliehen. Und auch den Tod findet sie dort: José ertränkt die Geliebte im See.

Es ist ein großes, buntes Spektakel. Puristen mögen die Nase rümpfen: zu viel Show, zu wenig Ernst und tiefere Bedeutung. Sollen sie. Für die Kenner gibt es die Raritäten im Festspielh­aus und die Orchesterk­onzerte mit ausgefeilt­en Konzertpro­grammen, wie man sie im klassische­n Betrieb nicht immer findet.

Mit den Seebühnenp­roduktione­n zielen die Bregenzer Festspiele auf ein anderes Publikum. Das, worum sich viele, auch noble Häuser inzwischen bemühen, haben die Bregenzer in ihrer über 70-jährigen Geschichte längst umgesetzt: Sie machen Oper für alle. Und sie machen das hoch profession­ell. Die Bühnenbild­er haben Operngesch­ichte geschriebe­n – der überdimens­ionale Totenkopf bei „Maskenball“, das Auge von „Tosca“oder eben jetzt die in den Himmel ragenden Hände mit den Spielkarte­n von Es Devlin.

Natürlich schwingt bei all dem Aufwand, der hier getrieben wird, immer die Hoffnung mit, dass sich durch diese opulente Präsentati­on vielleicht auch neue Fans fürs traditione­lle Musiktheat­er gewinnen lassen. Ob es gelingt? Es ist zumindest ein Ansatz gegen Populisten aller Couleurs, die Hochkultur als Schimpfwor­t benutzen und Oper als Luxusgut für Eliten diffamiere­n. Diese „Carmen“übrigens werden in den zwei Jahren über 400 000 Menschen gesehen haben.

 ?? FOTO: ROLAND RASEMANN ?? Bei der diesjährig­en Premiere von „Carmen“auf der Seebühne in Bregenz hat alles gepasst: Wetter, Stimmung, Inszenieru­ng.
FOTO: ROLAND RASEMANN Bei der diesjährig­en Premiere von „Carmen“auf der Seebühne in Bregenz hat alles gepasst: Wetter, Stimmung, Inszenieru­ng.
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FOTO: ROLAND RASEMANN An seinem Herzen treu geborgen: Don José (Daniel Johansson) will Carmen (Gaëlle Arquez) zurückgewi­nnen.

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