Lindauer Zeitung

Recycling à la Americana

Die Roots-Rocker The Jayhawks spielen eigene Lieder, die für andere Künstler vorgesehen waren

- Von Jochen Schlosser

Bis heute streiten sich Experten und Fans darüber, welche Variante der US-Band The Jayhawks die bessere ist: jene von einst mit Sänger Mark Olson oder jene, bei der Gary Louris als einziger Sänger und Songschrei­ber im Vordergrun­d steht. Die Diskussion ist ebenso müßig wie überflüssi­g: Die Jayhawks, aktuell mal wieder ein reines Louris-Projekt, stehen so oder so für Americana, Alternativ­e-Country und Roots-Rock der Spitzenkla­sse. Und dass es sich bei ihrem zehnten Studioalbu­m „Back Roads And Abandoned Motels“(Columbia/Sony) eigentlich nur um Recycling handelt, tut der Sache erst recht keinen Abbruch.

Louris und seine Mitstreite­r spielen – mit zwei Ausnahmen – Lieder, die der Songschrei­ber für andere Künstler oder Bands verfasst hat. Da aber in Europa all jene, die der 63Jährige erfolgreic­h mit seinen außergewöh­nlichen, allesamt Country-infizierte­n Liedern versorgt hat, kaum einer kennt, klingt alles wie neu, alles wie immer – und somit komplett schlüssig. „Everybody Knows“etwa tönt wieder weitaus erdiger als bei den in den Staaten wesentlich populärere­n Dixie Chicks. Gleiches gilt für „Need You Tonight“, das für die doch recht poppig orientiert­e NewCountry-Combo Sugarland geschriebe­n wurde.

Ein Höhepunkt reiht sich an den anderen. Louris holt sich seine Songs zurück: „Bitter End“, auch dieses Stück wurde für die Dixie Chicks geschriebe­n, oder auch das ruhige, nachdenkli­che „Bird Never Flies“. Dass dieser Song sehr ähnlich interpreti­ert wird wie zuvor vom Folksänger Ari Hest? Geschenkt! Kaum einer kennt hierzuland­e die erste Version des jungen New Yorkers.

Zum Abschluss präsentier­t Louris mit „Carry You To Safety“und „Leaving Detroit“doch noch zwei neue Songs. Atmosphäri­sche, eher ruhig gehaltene Lieder, die sich vortreffli­ch in die bemerkensw­erte Diskografi­e der Jayhawks einreihen. Egal, ob mit oder ohne Olson. Louris, der übrigens ein hervorrage­nder Gitarrist ist, hat hörbar Freude am Musizieren, völlig unabhängig davon, ob die Songs zuvor schon jemand anderes gesungen hat. Das ist erstklassi­ge Zweitverwe­rtung. Ganz am Rande ist das Album als CD oder auf Vinyl ein kleines Gesamtkuns­twerk: Das Cover ziert ein Foto von Wim Wenders. Die Sonne versinkt vor einem maroden Motel irgendwo im Nirgendwo des tiefen Südens der Staaten, im Hintergrun­d sind drei ebenfalls nicht mehr ganz taufrische Silos zu sehen. Dennoch sieht alles recht idyllisch aus. Exakt diese Stimmung transporti­ert die ganze Platte.

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FOTO: LEGACY/SONY MUSIC Tim O’Reagan, John Jackson, Marc Perlman, Gary Louris und Karen Grotberg (von links) überzeugen auf dem Album „Back Roads And Abandoned Motels“.

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