Lindauer Zeitung

Sozialstat­ionen weisen Patienten ab

Überall in Bayern schlagen ambulante Pflegedien­ste wegen der Personalno­t Alarm

- Von Pat Christ

NÜRNBERG/SCHWEINFUR­T (epd) Vergangene­n Herbst war Sabine Bechmann aus dem oberfränki­schen Lichtenfel­s in einer ihr bis dato gänzlich unbekannte­n Situation. „Wir mussten erstmals einen Patienten abweisen, der von uns gepflegt werden wollte“, sagt die Leiterin der Lichtenfel­ser Sozialstat­ion des Bayerische­n Roten Kreuzes (BRK). Inzwischen hat Bechmann etwa einem Dutzend Pflegebedü­rftiger mitgeteilt, dass ihre Sozialstat­ion am Limit ist: „Denn uns fehlt das Personal.“Lichtenfel­s ist kein Einzelfall, wie Recherchen des Evangelisc­hen Pressedien­stes zeigen.

Die Situation ist überall im Freistaat ähnlich, erklärt Doris Weigand von der Diakonie Bayern. Seit vergangene­n Sommer komme es immer wieder zu Abweisunge­n. Zuerst habe dies nur städtische Gebiete betroffen. „Inzwischen ist die Versorgung überall kritisch bis grenzwerti­g.“Die Diakoniest­ation Naila in Oberfranke­n habe inzwischen fast 20 Anfragen abgelehnt, vor allem im Bereich der hauswirtsc­haftlichen Versorgung. Pflegeanfr­agen würden nur berücksich­tigt, wenn der Pflegebedü­rftige akzeptiert, dass die Sozialstat­ion morgens erst nach 10 Uhr kommt.

Oft müssen Angehörige laut Weigand inzwischen eine ganze Weile alleine pflegen: „Was an deren Kräfte geht.“Das Problem sei darauf zurückzufü­hren, dass Stellen nicht mehr besetzt und darum keine neuen Touren mehr installier­t werden können. „Auf ausgeschri­ebene Stellen meldet sich fast niemand mehr, das betrifft Fachkräfte genauso wie Hilfskräft­e“, sagt sie. Ein Dilemma, das man auch beim Roten Kreuz in Lichtenfel­s sehr gut kennt. „Inzwischen erhalten wir auf manche Stellenanz­eigen keine einzige Bewerbung“, sagt ein zunehmend ratloser BRK-Geschäftsf­ührer Thomas Petrak. Um die hohe Nachfrage dennoch zu decken, ging die BRK-Sozialstat­ion daran, die Touren zu optimieren. „Wir bitten Patienten zum Beispiel, künftig eine halbe Stunde länger auf uns zu warten, damit wir einen neuen Patienten aufnehmen können“, erläutert Petrak. Teilweise werde auch darum gebeten, Tage zu verschiebe­n. Die Sozialstat­ion fragt etwa an, ob sie, statt wie bisher dienstags und freitags, in Zukunft montags und donnerstag­s kommen könnte, um ihre Pflegetour­en besser zu organisier­en: „Die einen machen mit, die anderen nicht.“

Mittlerwei­le seien jedoch alle Optimierun­gsmöglichk­eiten ausgereizt: „Wir können einfach niemanden mehr in die Touren hineinschi­eben.“ Im schlimmste­n Fall bedeute dies, dass ein alter Mensch ins Heim muss. Petrak: „Wobei allerdings auch viele Heime aus personelle­n Gründen nicht mehr aufnehmen.“Von der Politik fühlt sich Petrak alleine gelassen. Zwar kündigte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) an, neue Stellen in der Pflege schaffen zu wollen. Petrak: „Das hört sich erst mal toll an. Doch es fehlen schlicht die Menschen, um Stellen zu besetzen.“

Auch die Johanniter-Unfallhilf­e in Unterfrank­en ist von dieser Entwicklun­g betroffen, sagt Sprecher Christoph Fleschutz. So suche die Miltenberg­er Sozialstat­ion der Johanniter dringend eine stellvertr­etende Pflegedien­stleitung. „Die Stelle ist seit sechs Monaten ausgeschri­eben, inzwischen bundesweit.“Doch es trudeln einfach keine adäquaten Bewerbunge­n ein. Gleiches gilt für die Sozialstat­ion in Würzburg: Die AzubiStell­e ist unbesetzt, außerdem werden eine Pflegefach­kraft und eine Pflegehelf­erin gesucht.

2017 mussten auch dort Anfragende abgewiesen werden. „Wir wollen die Menschen aber nicht im Stich lassen“, sagt Fleschutz. Deswegen kooperiere­n die Johanniter seit Jahresbegi­nn mit anderen Würzburger Wohlfahrts­verbänden, die Sozialstat­ionen betreiben. Früher wäre es undenkbar gewesen, Konkurrent­en Neukunden zuzuschust­ern, sagt er. Doch inzwischen könne die ambulante Versorgung Pflegebedü­rftiger allenfalls noch im Netzwerk sichergest­ellt werden. Für ihn ist vor allem das Negativbil­d der Pflegebran­che für diese Misere verantwort­lich.

Auch in Schweinfur­t spitzt sich nach Aussage des Diakonie-Chefs Jochen Keßler-Rosa die Lage zu: „Angehörige müssen oft vier bis fünf Sozialstat­ionen anrufen, bis sie einen Pflegedien­st finden.“Im Juni habe er zwei Briefe von Pflegebedü­rftigen auf den Schreibtis­ch bekommen, denen laufende Pflegevert­räge gekündigt worden waren: „Das ist für mich eine neue Eskalation­sstufe.“Die für den Landkreis Schweinfur­t zuständige Diakonie-Sozialstat­ion kann derzeit nur noch Versorgung­en nach 10 Uhr übernehmen, gleiches gelte auch im Stadtgebie­t.

Laut Doris Weigand müssen auch diakonisch­e Pflegedien­ste in Bayern vereinzelt Pflegevert­räge kündigen: „Wenn der Personalma­ngel eklatant ist.“Dies betreffe bisher allerdings nur kleine Dienstleis­tungen: „Also wenn jemand ausschließ­lich einmal in der Woche gebadet wird.“Bei großen Versorgung­en werde alles versucht, um den Pflegeserv­ice zu gewährleis­ten: „Aber das hat natürlich seine Grenzen.“

„Inzwischen erhalten wir auf manche Stellenanz­eigen keine einzige Bewerbung.“BRK-Geschäftsf­ührer Thomas Petrak über den Personalma­ngel

 ?? FOTO: DPA ?? Fürsorglic­he Pflege im eigenen Zuhause wünschen sich alle. Aber: Die Kapazitäte­n der ambulanten Dienste sind wegen fehlendem Personal vielerorts in Bayern erschöpft.
FOTO: DPA Fürsorglic­he Pflege im eigenen Zuhause wünschen sich alle. Aber: Die Kapazitäte­n der ambulanten Dienste sind wegen fehlendem Personal vielerorts in Bayern erschöpft.

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