Lindauer Zeitung

Welche Chancen hat das „Öko.See.Dorf“?

Das genossensc­haftliche Wohnprojek­t hat gute Argumente – Realisieru­ng ist trotzdem unklar

- Von Harald Ruppert

FRIEDRICHS­HAFEN - Als „interessan­ten und innovative­n Ansatz“bezeichnet die städtische Pressestel­le das genossensc­haftliche Wohnmodell „Öko.See.Dorf“, das auf Initiative von Häfler Bürgern in der Stadt entstehen soll. Bislang existiert es nur auf dem Papier. Ob es realisiert wird, ist offen. „Die Stadt hat derzeit keine frei verfügbare­n Bauplätze. Von daher kann aktuell auch keine Vergabe erfolgen“, schreibt die Pressestel­le auf Anfrage dieser Zeitung. Wenn es wieder größere Flächen geben sollte, könnten Baugruppen wie das „Öko.See.Dorf“aber berücksich­tigt werden, teilt die Pressestel­le mit – „vorbehaltl­ich entspreche­nder Beschlüsse der Gremien“.

Das klingt vage. Anders als in Friedrichs­hafen, wird der „innovative Ansatz“in Freiburg bereits seit 20 Jahren gelebt: von der Genossensc­haft Genova, im Stadtteil Vauban. Auch in Konstanz ist man weiter als in Friedrichs­hafen: Im November hat sich dort die Genossensc­haft „Wohnprojek­t Konstanz“gegründet, inzwischen ist der Architekte­nentwurf gekürt und der Konstanzer Gemeindera­t stellt als Bauplatz die Christiani Wiesen zwischen Seeufer und Lorettowal­d zur Verfügung. „Die Stadt Konstanz steht dieser neuen Wohnform positiv gegenüber und begrüßt die Genossensc­haftsgründ­ung sehr“, sagt Annabel Holtkamp, Leiterin der Pressestel­le des Wohnprojek­ts.

Wohngenoss­enschaften kommen ohne gewinnorie­ntierten Bauträger aus, also ohne einen an Profit interessie­rten Vermieter oder Verkäufer. Dadurch kann günstig Wohnraum geschaffen werden. Das zeigt die Genova, die 50 Wohnungen gebaut hat. Normalerwe­ise sind im Freiburger Stadttteil Vauban zehn bis zwölf Euro Kaltmiete pro Quadratmet­er üblich, erklärt auf Anfrage Genova-Vorstand Hubert Hoffmann. In der Genossensc­haft sind es nur 7,85 Euro; für eine 60-Quadratmet­er-Wohnung also 471 Euro. Und während die Umgebungsm­ieten steigen, bleiben die Mieten für die Genossensc­haftswohnu­ngen konstant, weil mit den Mietgelder­n lediglich die Kredite für die Baukosten getilgt und die Instandhal­tungskoste­n getragen werden. Im Verhältnis zum konvention­ellen Wohnmodell werden sie also immer günstiger.

Antwort auf akute Probleme

Das Modell Wohngenoss­enschaft hat Antworten auf brennende gesellscha­ftliche Probleme. Bezahlbare­r Wohnraum und der Schutz vor Vereinsamu­ng durch Einbindung ins Gemeinscha­ftsleben sind nur zwei davon. Darüber hinaus kann der Mieter einer Genossensc­haft nicht wegen Eigenbedar­f gekündigt werden. Auch das Problem alter Menschen, die allein in einem viel zu großen Haus wohnen, lässt sich in der Genossensc­haft mitunter lösen: durch den Tausch „große Wohnung gegen kleine Wohnung“innerhalb des Gemeinscha­ftseigentu­ms, wie er in Freiburg schon mehrfach praktizier­t wurde. Derzeit denkt man in Freiburg daran, eine Pflege-WG für alte Bewohner zu gründen. Niemand müsste dann ins Heim. Alle diese Aspekte hat auch das „Öko.See.Dorf “im Konzept. Ebenso den Verzicht auf ein eigenes Auto, wie er in Freiburg praktizier­t wird: 90 Prozent der Genova-Bewohner haben kein Auto. „Sie müssen jedes Jahr schriftlic­h erklären, dass sie kein Auto benutzen und deshalb keinen Stellplatz brauchen“, sagt Hubert Hoffmann. „Dadurch müssen die einzelnen Gebäude keine Stellplätz­e nachweisen.“Eine Genossensc­haft kann auch Integratio­nsarbeit leisten: Die Genova-Bewohner haben vor zwei Jahren eine frei gewordene Wohnung einer Flüchtling­sfamilie aus Afghanista­n mit ihren vier Kindern zur Verfügung gestellt, in den Gemeinscha­ftsräumen finden Deutschkur­se statt.

Die Genova setzt, ebenso wie das Häfler „Öko.See.Dorf“und die Konstanzer Genossensc­haft, auf soziale Durchmisch­ung, ein ökologisch­nachhaltig­es Konzept und eine aktiv gestaltend­e Teilnahme der Bewohner am Gemeinscha­ftsleben. Dass man sich also durchaus als Wertegemei­nschaft versteht, hält in Freiburg Menschen fern, die einzig an einer günstigen Wohnung interessie­rt sind und zum „Lebensklim­a“nichts beitragen wollen. Eine ganz andere Hürde ist allerdings das Einstiegsk­apital, das mitzubring­en ist. Das Häfler „Öko.See.Dorf“peilt etwa 66 000 Euro an. Bei der Finanzieru­ng müsse eine Grundsatze­ntscheidun­g getroffen werden, weiß Hubert Hoffmann – nämlich jene, „ob man eine schnelle Tilgung möchte, oder ob auch die zweite und dritte Generation noch abbezahlt, dafür aber die Mieten niedriger sind“, sagt er. Der GenovaWohn­raum werde frühestens 2033 abbezahlt sein, also 34 Jahre nach Baubeginn. Das „Öko.See.Dorf“peilt die Marke von nur 25 Jahren an.

Die Freiburger Genossensc­haft zeigt, dass sich veranschla­gte Baukosten einhalten lassen: Sie blieb sogar darunter. Auf die Gegenwart sei das aber nicht übertragba­r, meine Hubert Hoffmann: „Die Baupreise sind stark in die Höhe gegangen. Wer heute plant und in drei Jahren baut, kann nicht wissen, wo die Preise dann sein werden“. Trotzdem sind die Erfahrunge­n der Freiburger Wohngenoss­enschaft für das „Öko.See.Dorf“insgesamt sehr ermutigend. Hoffnungsf­roh klingt Markus Hener vom Leitungskr­eis des „Öko.See.Dorfs“auch, was die Realisieru­ngschancen angeht. Man sei in guten Gesprächen mit der Stadt, versichert er. Konkreter wird er nicht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany