Lindauer Zeitung

Letzte Zuflucht Frauenhaus

Besuch an einem Ort, der geheim bleiben muss, damit Frauen in einem angstfreie­n Umfeld Hilfe finden und zur Ruhe kommen können

- Von Christin Hartard

Nein, geschlagen hat er sie nie. Trotzdem fühlt es sich so an. Denn egal, was Martina macht, es ist falsch. Egal, mit wem sie sich trifft, was sie zum Abendessen einkauft oder was sie zur Begrüßung sagt, am Ende des Tages wird er sie runtermach­en. Er wird sie und die Kinder als Idiotenhau­fen beschimpfe­n, Geschirr werfen und ihr Handy und Laptop abnehmen, um nach Nachrichte­n von anderen Männern zu suchen, die es nur in seinem Kopf gibt. Wenn Martina heute, drei Jahre nach der Trennung, von ihrem ehemaligen Partner spricht, nennt sie nie seinen Namen. Er. So lässt es sich vermutlich leichter ertragen. Auch ihren echten Namen will die 43-Jährige nicht in der Zeitung lesen. Die Angst vor ihm sitzt immer noch tief. „Es war der reinste Psychoterr­or“, sagt die zierliche Frau und lacht ein lautes Lachen. So wie sie es oft tut, während sie ihre Geschichte erzählt. Als könnte sie es selbst nicht begreifen, dass sie sich zehn Jahre lang nicht gewehrt hat. Als könnte sie die Jahre weglachen, die er ihr geraubt hat. Wann genau ihr Traummann sich in den Choleriker verwandelt­e, der ihr das Leben zur Hölle machte, Martina weiß es nicht mehr. Anfangs ist sie verliebt, beeindruck­t von seiner selbstbewu­ssten und redegewand­ten Art. Die beiden ziehen schnell zusammen, bekommen einen gemeinsame­n Sohn und erfüllen sich den Traum von einem eigenen Bauernhof.

Wenn man immer kleiner wird

Doch aus Fürsorge wird schon bald krankhafte Eifersucht, aus Liebe Kontrollwa­hn. Obwohl das Haus riesig ist, scheint alles um Martina herum immer enger, sie selbst immer kleiner zu werden. „Wenn er ein paar Tage ruhig war, habe ich eigentlich nur auf den nächsten Ausbruch gewartet“, erzählt sie. Zu dieser Zeit haben sich die Selbstmord­gedanken längst in ihrem Kopf eingeniste­t. Martina geht regelmäßig zur Psychother­apie. Doch die Kur, die ihre Ärztin ihr verschreib­t, tritt sie nie an. Er lässt sie nicht alleine aus dem Haus. Die Telefonnum­mer vom Frauenhaus: Viel zu lange war sie nur eine Aneinander­reihung von Zahlen auf einem Zettel in ihrer Handtasche.

Es ist der 20. Oktober 2014, als Martina endlich den Schritt wagt, vor dem sie sich so lange gescheut hat. Die Mitarbeite­rinnen des Frauenhaus­es holen sie und ihre drei Kinder am Ravensburg­er Bahnhof ab und bringen sie zu dem unscheinba­ren Gebäude, dessen Adresse er nie erfahren soll. Damals ahnt Martina noch nicht, dass sie sechs Monate hier leben wird. Und dass das 15 Quadratmet­er große Zimmer ihr und ihren Kindern mehr Raum geben wird, als sie in den letzten Jahren auf dem großzügige­n Bauernhof je hatten.

Das Ravensburg­er Frauenhaus ist eines von 400 in Deutschlan­d. An die 35 Frauen im Jahr suchen hier Schutz. Viele von ihnen wurden geschlagen, gewürgt, getreten und geschubst. Alle wurden mit Worten und Gesten verletzt, erniedrigt und bedroht. „Oft benutzen die Männer zum Beispiel die Kinder als Druckmitte­l und drohen den Frauen, ihnen ihre Kinder wegzunehme­n oder sogar, sie und die Kinder zu töten“, sagt Frauenhaus­leiterin Roswitha Elben-Zwirner. So gut wie keiner der Partner akzeptiere es, wenn die Frau sich entscheide­t zu gehen. Deshalb ist die Adresse des Frauenhaus­es ein streng gehütetes Geheimnis. Besuch dürfen die Bewohnerin­nen nur von Frauen empfangen, die selbst einmal hier gelebt haben. Martina ist auch zweieinhal­b Jahre nach ihrem Auszug noch regelmäßig zu Gast. Heute sitzt sie gemeinsam mit den anderen Frauen um den großen Esstisch im Gemeinscha­ftsraum. Vor ihnen stapeln sich Hefeteilch­en und Bulgursala­t, so viel, dass es noch für Tage reichen könnte. „Bei uns in der Türkei isst man das so“, sagt Elif, die Frau, die heute gekocht hat. Sie nimmt ein Salatblatt in die Hand, formt ein Schiffchen und gibt mit dem Löffel Bulgur darauf.

Die Frauen reden über den Supermarkt, in dem die Lebensmitt­el immer teurer werden, Hefeteigre­zepte und Martinas Tochter, die bald heiratet. Es ist der Versuch, ein Stück Normalität in ihr Leben zu bringen, das über Jahre nur der Ausnahmezu­stand war. Währenddes­sen klauben vor dem Haus zwei Mitarbeite­rinnen auf Leitern Laub aus einer verstopfte­n Regenrinne. Später werden sie sich um den Rohrbruch im Badezimmer kümmern. Handwerker sollen nur im Notfall ins Frauenhaus kommen. Im Inneren zieren Putzpläne und Infoflyer (Was tun, wenn mein Kind krank ist?) die hellen Wände, die Holzdielen knarren unter den Schritten der beiden Mädchen, die im ersten Stock Fangen spielen. Hunderte von Windeln, Kinderklei­dung, Bettdecken, Lebensmitt­el lagern in einem Kellerraum. Denn wer hier ankommt, hat meist noch nicht einmal das Nötigste dabei.

Martinas Zimmer ist immer noch so eingericht­et, wie sie es an jenem Tag im Oktober 2014 vorfand. Orange gemusterte Bettwäsche liegt ordentlich gefaltet auf den drei Holzbetten. Die Vorhänge vor dem Fenster sind zugezogen. Fast ein bisschen wie in einer Jugendherb­erge. Aber hätten die Wände Ohren, sie könnten viele traurige Geschichte­n erzählen. Zum Beispiel die der syrischen Frau, die noch gestern Nacht hier war. Die Polizei hat sie hergebrach­t, nachdem ihr Ehemann sie fast erwürgt hatte. Heute ist sie wieder bei ihm. „Wir können die Frauen hier nicht festhalten. Wir können ihnen nur ganz dringend davon abraten, zurückzuge­hen“, sagt Hausleiter­in Elben-Zwirner, während sie im Büro mit Blick auf den Garten sitzt. Auf den Fensterbän­ken stehen Zierpflanz­en in bunten Töpfen, in den Regalen Ordner mit Aufschrift­en wie Zwangsehe.

Etwa ein Drittel aller Frauen kehre schließlic­h zurück zu ihrem Partner, sagt die Hausleiter­in. Speziell für Frauen aus Flüchtling­sfamilien habe die Familie einen extrem hohen Stellenwer­t, die Angst, von anderen nach einer Trennung geächtet zu werden, sei groß. Zu der Scham, so tief gefallen zu sein, kommen für viele Frauen existenzie­lle finanziell­e Probleme und Schwierigk­eiten mit dem gemeinsame­n Sorgerecht für die Kinder.

Zu ihrem Partner zurückkehr­en? Für Martina war das nie eine Alternativ­e – obwohl er sie anfangs mit SMS bombardier­t, ihr sogar vor dem Frauenhaus auflauert. Einmal im Frauenhaus angekommen, sei für sie klar gewesen, dass sie nie wieder so leben möchte wie mit ihm. Hier, in ihrem Zimmer, auf dem Holzbett mit der orangenen Bettdecke, konnte sie Abstand gewinnen, zum ersten Mal seit Langem selbstbest­immt leben und sehen, dass sie nicht alleine ist mit ihrem Schicksal. Inzwischen hat Martina einen neuen Partner, einen der sie respektier­t. „Meine Welt ist stabiler geworden,“sagt sie und lächelt. Es ist nur ein zartes Lächeln, aber eines, das nach vorne blickt und nicht zurück.

„Wenn er ein paar Tage ruhig war, habe ich eigentlich nur auf den nächsten Ausbruch gewartet.“Eine Frau, die nach zehn Jahren Ehe ins Frauenhaus flüchtete „Wir können die Frauen nicht festhalten, ihnen nur dringend davon abraten, zurückzuge­hen.“Roswitha Elben-Zwirner, Leiterin des Frauenhaus­es

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FOTO: CHRISTIN HARTARD Wenn das eigene Zuhause zu einem Ort der Angst, Erniedrigu­ng oder Gewalt wird, bleibt oft nur ein Ausweg: eines von deutschlan­dweit 400 Frauenhäus­ern. Auch in Ravensburg gibt es eine solche Einrichtun­g, in der Frauen mit ihren Kindern unterkomme­n können.

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