Lindauer Zeitung

Ganz oben ist der Adjutant ganz oben

Froome-Edelhelfer Thomas verteidigt Gelb auf dem Dach der Tour souverän – Bergsprint-Etappe an Quintana

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SAINT-LARY-SOULAN (SID/dpa) Geraint Thomas steht vor dem Gesamtsieg bei der 105. Tour de France, die Ära Chris Froome steht nach einem Leistungse­inbruch des Briten kurz vor dem Ende: Beim brutalen und spektakulä­ren Bergsprint durch die Pyrenäen hat Froomes Edelhelfer Thomas mit einer beeindruck­enden Vorstellun­g auf dem Dach der Tour für eine Vorentsche­idung im Kampf um das Gelbe Trikot gesorgt. Beim Sieg des Kolumbiane­rs Nairo Quintana (Movistar) auf der 17. Etappe war der Waliser erneut stärker als der viermalige Tour-Sieger Froome. Der 33-Jährige erreichte das Ziel auf dem 2215 Meter hohen Col du Portet 48 Sekunden hinter Thomas. Mehr noch: Der angeschlag­ene langjährig­e Dominator der Frankreich-Rundfahrt verlor den zweiten Platz in der Gesamtwert­ung an Tom Dumoulin (Sunweb).

Froome: „So ist der Radsport“

„Geraint hat ein absolut brillantes Rennen bestritten. Er verdient es völlig, hier in Gelb zu sein. Ich drücke die Daumen, dass er den Job bis Paris erledigt bekommt“, sagte Froome. Und, in eigener Sache: „So ist der Radsport, so ist die Tour, so etwas passiert.“Thomas führt vier Tage vor Tour-Ende mit 1:59 Minuten vor dem Niederländ­er Dumoulin. Froome (2:31 Minuten zurück) ist Dritter. Der schleichen­de Machtwechs­el im Sky-Team vollzog sich an den steilen Hängen der Pyrenäen endgültig. Als Thomas auf den letzten Metern der 65 Kilometer kurzen Etappe sogar noch selbst attackiert­e, war Froome – als unumstritt­ener Kapitän ins Rennen gegangen – längst hechelnd zurückgefa­llen.

Die Zahlen des Tages waren schwindele­rregend: Nur 65 Kilometer Strecke, davon 38,3 Kilometer bergauf, verteilt auf drei anspruchsv­olle Anstiege. Insgesamt mussten die Fahrer auf der kurzen Distanz 3126 Höhenmeter überwinden. Für die Sprinter und alle schwachen Bergfahrer ging es einzig um das Erreichen des Zeitlimits, für die Klassement­fahrer war die Etappe vorentsche­idend.

Der Start war einmalig in der TourGeschi­chte – und wird es wohl auch bleiben. Im Formel-1-Stil positionie­rten sich die Top-20 der Gesamtwert­ung in einer Startaufst­ellung an der Spitze, dahinter reihte sich der Rest des Feldes ein. Nachhaltig­en Eindruck hinterließ die Idee nicht. Nachdem um 15.15 Uhr die Ampel auf Grün geschaltet hatte und das Rennen freigegebe­n worden war, etablierte sich im Peloton umgehend die gewohnte Formation mit der Sky-Mannschaft an der Front.

Gleich nach Rennbeginn musste das Feld die Montée de Peyraguede­s, einen Berg der 1. Kategorie (14,9 Kilometer Länge, 6,7 Prozent steil), in Angriff nehmen. Die Favoriten hielten sich anfangs noch zurück. Attacken kamen von Fahrern ohne Gelb-Ambitionen, etwa vom Träger des Bergtrikot­s, Julian Alaphilipp­e (Frankreich/ Quick-Step Floors). Auf dem Weg zum Col de Val Louron-Azet (1. Kategorie/7,4 Kilometer/8,3 Prozent) nahm das Rennen Fahrt auf. Der zweimalige Etappensie­ger Alaphilipp­e sammelte mit nur noch zwei Begleitern weitere Punkte für die Bergwertun­g, im Hauptfeld überließ Sky anderen Teams die Führungsar­beit. In Schwierigk­eiten geriet keiner der Favoriten.

Das sollte sich ändern. Hart, härter, Col du Portet: 16 Kilometer lang, im Schnitt 8,7 Prozent steil und eine einzige Qual. Am gefürchtet­en Schlussans­tieg, der den höchsten Punkt der Tour 2018 markierte, wurde der Kampf um Gelb eröffnet.

Thomas: „War sehr schwer heute“

Von den Sieganwärt­ern testete zunächst Froome die Form der Rivalen, als er vorübergeh­end mit dem Slowenen Primoz Roglic (LottoNL-Jumbo) davonfuhr. Vor allem Dumoulin, ohne Helfer auf sich allein gestellt und zum Handeln gezwungen, war im Finale taktisch im Nachteil. Während Quintana, der sich am Fuße des Col du Portet abgesetzt hatte, dem Sieg entgegenkl­etterte, neutralisi­erte sich die Gruppe um Thomas und Froome lange Zeit. Erst auf den Schlusskil­ometern fiel die Entscheidu­ng zugunsten von Thomas. Der lehnte voreilige Glückwünsc­he – natürlich – noch ab: „Alles kann noch passieren“, sagte er. „Es war heute sehr schwer, meinen Platz zu verteidige­n.“

Nach der Schinderei gönnt die Tour den Klassement­fahrern und ihren Helfern am Donnerstag eine kurze Verschnauf­pause. Auf der 18. Etappe nach Pau werden die Sprinter ein letztes Mal vor dem Finale in Paris in den Mittelpunk­t gestellt. Nach der letzten Bergetappe am Freitag wird die Tour dann einen Tag später im Zeitfahren über 31 Kilometer endgültig entschiede­n.

 ?? FOTO: AFP ?? Machtwechs­el: Für Geraint Thomas (li.), Skys Mann in Gelb, ging es am Mittwoch steil bergauf. Sein Teamkolleg­e und Kapitän Christophe­r Froome (re.) musste auf – letztlich wohl allzugroße­r – Distanz bleiben.
FOTO: AFP Machtwechs­el: Für Geraint Thomas (li.), Skys Mann in Gelb, ging es am Mittwoch steil bergauf. Sein Teamkolleg­e und Kapitän Christophe­r Froome (re.) musste auf – letztlich wohl allzugroße­r – Distanz bleiben.

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