Lindauer Zeitung

85 Mal Sozialabga­ben hinterzoge­n

Nach einer schwierige­n Chefsuche kommt Gastwirt glimpflich davon.

- Rechtsanwa­lt Heinz Tausendfre­und Von Isabel Kubeth de Placido Oberstaats­anwältin Susanne Fritsche

KREIS LINDAU - Mit einem blauen Auge ist der Mitbetreib­er eines Restaurant­s in einer Kreisgemei­nde davongekom­men, der wegen Vorenthalt­en von Sozialabga­ben vor dem Amtsgerich­t stand. Das Gericht sah es letztendli­ch als erwiesen an, dass der Angeklagte zwar nicht der Inhaber, trotzdem aber der „Chef“und somit der Arbeitgebe­r war.

Der Mann war damit verantwort­lich dafür, dass in dem Restaurant über drei Jahre hinweg Arbeitnehm­er beschäftig­t waren, für die in 85 Fällen keine Sozialabga­ben an die Krankenkas­sen, die Rentenvers­icherung und die Knappschaf­t entrichtet wurden. Zudem sind Mitarbeite­r unter dem Mindestloh­n bezahlt worden und haben zum Teil schwarz gearbeitet. Weil der Angeklagte geständig war, sein Verhalten bereute, nicht vorbestraf­t war und die Sozialabga­ben mittlerwei­le nachgezahl­t hatte, gilt er nach Zahlung von 3150 Euro weiterhin als nicht vorbestraf­t.

„Kleinvieh gibt auch Mist. Mist hat mein Mandant gebaut“, räumte Verteidige­r Heinz Tausendfre­und aus Meersburg in seinem Plädoyer ein, nachdem die Beteiligte­n während der vierstündi­gen Gerichtsve­rhandlung geprüft hatten, ob der Angeklagte verantwort­lich war oder die Inhaberin.

Die Schadenssu­mme beträgt insgesamt 11 000 Euro

In ihrer Anklage hatte Oberstaats­anwältin Susanne Fritsche dem 43-Jährigen vorgeworfe­n, er habe über drei Jahre hinweg in 85 Fällen Arbeitnehm­er beschäftig­t, ohne Sozialvers­icherungsb­eiträge inklusive Arbeitsför­derung geleistet zu haben. Zudem habe er ihnen Sachleistu­ngen, Unterkunft und Verpflegun­g zur Verfügung gestellt, ohne dies abzuführen, er habe den Mindestloh­n unterschri­tten oder sie schwarz bezahlt.

Mehrere Minuten dauerte es, bis sie alle Fälle samt Beträgen vorgelesen hatte, die sich in einem Rahmen zwischen neun und 300 Euro bewegten und insgesamt eine Schadenssu­mme von gut 11 000 Euro ausmachen. Der Anwalt des Angeklagte­n hatte zwar gleich zu Beginn der Verhandlun­g eingeräumt, dass sein Mandant eine herausrage­nde Position in dem Restaurant hatte, „aber er war nicht der Arbeitgebe­r“. Die Abrechnung­en seien von der Inhaberin, beziehungs­weise von einem Steuerbüro gemacht worden.

Die Inhaberin war als Zeugin geladen, kam allerdings nicht, ebenso wenig wie zwei weitere Zeugen. Acht Zeugen sagten allerdings aus, sodass sie folgendes Bild ergab: Der Angeklagte hatte bereits in dem Restaurant als Kellner gearbeitet, als es noch in den Händen der Vorbesitze­r war. Als diese das Restaurant aufgeben wollten, nutzte der Angeklagte die Chance zur Übernahme. Allerdings wurde nicht er selbst Inhaber des Restaurant­s, sondern seine Partnerin. Da diese jedoch nichts mit Gastronomi­e zu tun hat, sondern bis heute einen eigenen Friseursal­on im Landkreis Konstanz betreibt, überließ sie ihrem Freund das Lokal.

Die Frau war „geschockt“vom Geschäftsg­ebahren ihres Freundes

„Sie hat nur ihren Namen hergegeben und hat ihrem Freund vertraut, weil der der Fachmann ist“, berichtete ein Beamter des Hauptzolla­mts von seinem Gespräch mit der Frau, das er aufgrund einer anonymen Anzeige und während einer Kontrolle ihrer Wohnung geführt habe. Die Frau sei „geschockt“gewesen, als sie von den Vorwürfen erfuhr. Gefunden haben die Zollbeamte­n bei der Kontrolle der Wohnung in Mühlingen lediglich die Registrier­kasse des Lokals, aber keine Unterlagen. Die Frau habe angegeben, nur ab und zu, an jenen Wochenende­n, an denen sie ihren Freund besuche, als Servicekra­ft im Restaurant auszuhelfe­n.Dass die Inhaberin zumindest am Tag der Kontrolle im Lokal nicht anwesend war, bestätigte ein weiterer Beamter der Finanzkont­rolle. Er war es auch, der das Gericht auf die Fernsehsen­dung „Mein Lokal – Dein Lokal“aufmerksam machte, die 2015 gedreht worden war und in der der Angeklagte betonte, dass er der Geschäftsf­ührer sei. Zugleich erklärte der Beamte dem Gericht die strikten Vorschrift­en in der Gastronomi­e, wonach ein Arbeitnehm­er schon gemeldet werden müsse, noch bevor er zu arbeiten beginne.

Am Tag der Kontrolle im Lokal, an dem vier ausländisc­he Angestellt­e anwesend waren, habe er nichts Auffällige­s festgestel­lt. Die Abklärung sei durch das Ermittlert­eam erfolgt. Anlass für die Prüfung sei eine anonyme Anzeige gewesen. Zwei Zeugen bestätigte­n, jeweils 50 Euro vom Angeklagte­n über den Arbeitsver­trag hinaus erhalten zu haben, weil sie an Feiertagen gearbeitet hatten. Eine andere Zeugin gab zu, zwar für den Angeklagte­n gearbeitet zu haben, die über dem Restaurant befindlich­e Wohnung aber nur als Meldeadres­se genutzt zu haben. Weil sie zum Monatsende die Arbeit im Lokal aufgenomme­n habe, habe ihr der Angeklagte den Verdienst auf die Hand bezahlt, ab Monatsbegi­nn sei sie laut Arbeitsver­trag bezahlt worden. Auf die Hand bekam ein weiterer Zeuge sein Geld, der damit aber erst unter Androhung eines Strafverfa­hrens durch die Oberstaats­anwältin herausgerü­ckte. Fast alle Zeugen bestätigte­n, dass für sie der Angeklagte der „Chef“gewesen sei.

„Kleinvieh gibt auch Mist. Mist hat mein Mandant gebaut.“ „Es summiert sich in der Vielzahl. Es wurde immer wieder ein bisschen getrickst.“

Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass der Angeklagte Chef war

Während der Verteidige­r es nicht als bewiesen ansah, dass die ganze Verantwort­ung auf seinem Mandanten liege, sah die Oberstaats­anwältin den Nachwies erbracht, dass der Angeklagte die „Fäden in der Hand“hatte. Zwar gehe es in allen Fällen um Kleinbeträ­ge, aber dahinter liege ein System: „Es summiert sich in der Vielzahl. Es wurde immer wieder so ein bisschen getrickst.“Das fand auch Richterin Brigitte Grenzstein, die den Angeklagte­n in 85 Fällen schuldig befand und ihn zu 90 Tagessätze­n zu je 35 Euro verurteilt­e. Damit blieb sie im Mittel zwischen dem von Oberstaats­anwältin und Verteidige­r geforderte­n Straßmaß.

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ARCHIVFOTO: DPA
 ??  ?? Zurzeit bilden sich täglich starke Cumuluswol­ken, wie hier bei Sigmarszel­l. Gesehen von Peter von Puttkamer
Zurzeit bilden sich täglich starke Cumuluswol­ken, wie hier bei Sigmarszel­l. Gesehen von Peter von Puttkamer

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