„Hoher Preis für vermurkste Energiewende“
Energieökonomin Claudia Kemfert kritisiert „überdimensionierten Ausbau der Stromnetze“
BERLIN - Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) will den Ausbau der Stromnetze in Deutschland deutlich beschleunigen. Dafür stellte Altmaier am Mittwoch einen Aktionsplan vor. Mit Claudia Kemfert, Energieökonomin und Professorin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, sprach Andreas Herholz über das Thema.
Es gibt Widerstand gegen die Trassen. Sind die Sorgen und Proteste vor Ort berechtigt?
Ja durchaus. Wir brauchen mehr Transparenz bei der Stromnetzplanung. Die bisherige Planung basiert auf Annahmen einer zentralen und analogen Energiewelt aus dem letzten Jahrhundert, sie berücksichtigt zudem in nicht ausreichendem Maße die Klimaschutzziele. Die Energiewende mit mehr erneuerbaren Energien ist dezentral, digital und flexibel. Somit ist der geplante Netzausbau überdimensioniert. Je schneller wir aus der Kohle aussteigen, desto weniger Stromautobahnen werden benötigt. Die Ausrichtung auf eine dezentrale und lastnahe Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen ist wichtiger als der monströse Ausbau der Netze.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier wirbt vor Ort für den Ausbau und startet den „Bürgerdialog Stromnetz“. Ist das der richtige Weg für mehr Akzeptanz?
Es ist grundsätzlich gut und richtig, mit Bürgern ins Gespräch zu kommen. Ich würde mir allerdings wünschen, Herr Altmaier würde sich die erfolgreichen Regionen mit 100 Prozent erneuerbaren Energien anschauen, oder sich mehr mit mittelständischen Unternehmen unterhal- ten, die kosteneffizient energieintensive Unternehmen mit Öko-Energien versorgen, und das ganz ohne Stromautobahnen. So würde er weniger den Mythen der fossilen Energielobby der Vergangenheit erliegen.
Energiewende ja, aber bitte nicht vor der eigenen Haustür – wird da das Jahrhundertprojekt ausgebremst?
Sicherlich haben viele Bürger berechtigte Sorgen, denen man in der Tat durch aktiven Dialog und Partizipation begegnen muss. Die Energiewende ist nur dann erfolgreich, wenn echte Bürgerenergie stattfindet. Erfolgreiche Bürgerenergie stärkt alle Bürger in einer Region, davon gibt es zahlreiche Beispiele. Leider gibt es aber auch mehr und mehr durch fossile Lobbyorganisationen organisierte, aber als „besorgte Bürger“getarnte Proteste, die zum Ziel haben, die Energiewende generell schlechtzureden und Mythen zu verbreiten. Daher bedarf es noch mehr Engagement der Zivilgesellschaft, für die erfolgreiche Bürgerenergie einzutreten.
Ist davon auszugehen, dass der Strompreis nach dem Trassenaus- bau deutlich steigen wird?
Ein überdimensionierter Netzausbau lässt die Strompreise unnötig stark ansteigen. Wir zahlen einen hohen Preis für eine vermurkste Energiewende. Wir finanzieren Kohlekraftwerke, die wir nicht mehr brauchen, und legen noch Abwrackprämien obendrauf. Zusätzlich leisten wir uns einen überdimensionierten Ausbau der Stromnetze, um den Kohlestrom zu erhalten. Besonders ärgerlich daran ist, dass als Ausrede für diese überteuerte Rettung der fossilen Dinosaurier ausgerechnet die erneuerbaren Energien herhalten müssen.