Ein Leben am Rande
Gus van Sants eindrucksvolles Filmporträt des gelähmten Comiczeichners John Callahan
Außenseiter interessieren ihn: Porträts von Menschen, die anders sind oder sein wollen, ziehen sich wie ein roter Faden durch die Filme von Gus van Sant. Mal sind es fiktive Charaktere wie in „My Own Private Idaho“oder reale wie in „Milk“oder „Last Days“. „Don’t Worry, He Won’t Get Far on Foot“schließt sich da nahtlos an. Seine Hauptfigur ist der in den USA bekannte Comiczeichner John Callahan, in Deutschland weitgehend unter dem Radar, auch wenn einige seiner Sammlungen von Cartoons sowie seine Autobiografie auf Deutsch erschienen sind.
Ein Leben am Rande des Exzesses. Der junge Callahan ist ein Tunichtgut, ein Provinzler aus Oregon, der versucht, sich in Los Angeles durchzuschlagen. Und krachend scheitert: Alkoholiker schon in jungen Jahren, überdreht, ständig in schlechter Gesellschaft. Mit 21 dann der Einschnitt: Mit seinem Saufkumpan Dexter zieht er um die Häuser, am Steuer eines klapprigen VW Käfers baut der völlig betrunkene Dexter einen Unfall, den er selbst leicht verletzt überlebt – John als Beifahrer aber ist querschnittsgelähmt.
Er ändert sein Leben, weil sein Leben ihn ändert. Er wird Mitglied der Anonymen Alkoholiker, deren Gruppe vom schwulen und reichen Hippie Donnie geleitet wird und in der ein paar schräge Vögel sitzen. Sie zeigen John, dass er nicht allein ist. Er lernt die aus Schweden stammende Krankenschwester Annu kennen, die ihm eine große Stütze ist, und nach und nach befreit er sich von seinen Dämonen, beginnt zu zeichnen, wird langsam erfolgreich. Mit Cartoons, die auch seine eigene Situation herzlos thematisieren – lakonisch, makaber, politisch unkorrekt, zeichnerisch sehr minimalistisch, fast krakelig, auch weil er durch seinen Unfall noch in seinen Bewegungen eingeschränkt wird. Eines seiner Bilder gibt dem Film seinen (Original-)titel: Am Rande einer Wüste steht ein lee- rer Rollstuhl, zwei Sheriffs auf ihren Pferden, die den Mann offensichtlich verfolgt haben, stehen dabei, der eine sagt: „Keine Sorge, zu Fuß wird er nicht weit kommen!“Warum der deutsche Verleih daraus „ ... weglaufen geht nicht“gemacht hat, wird sein Geheimnis bleiben. 2010 stirbt der reale John Callahan an den Spätfolgen seines Unfalls.
Joaquin Phoenix spielt diesen Gehetzten, auf dessen Autobiografie das Drehbuch beruht, durchaus nicht sympathisch: verschwitzt, versoffen, brutal ehrlich seiner Umwelt gegenüber, überheblich. Ihm zur Seite stehen Rooney Mara („Verblendung“, „Carol“) als Annu, Jonah Hill („The Wolf of Wall Street“) als Donnie und Jack Black („School of Rock“) als Dexter. Dazu kommt eine skurril anmutende Corona aus Nebenrollen wie Trash-König Udo Kier, Rocksängerin Beth Ditto oder Ex-So- nic-Youth-Musikerin Kim Gordon. Das Drehbuch hat Gus van Sant selbst geschrieben, der seit vielen Jahren zwischen Independent und Mainstream wechselt und zuletzt mit „Promised Land“(2012) einen mäßig erfolgreichen Film in den Kinos hatte.
In den USA gehörte „Don’t Worry…“zu einer Gruppe von Filmen, die in die Diskussion über Whitewashing und kulturelle Aneignung gerieten und sich den Vorwurf von Rassismus und Benachteiligung Betroffener gefallen lassen mussten. Bei van Sant ging der Vorwurf von Interessenverbänden dahin, dass nur ein Gelähmter einen Gelähmten spielen dürfe; parallel führte ein Shitstorm aus der LSBTTIQ-Community dazu, dass Scarlett Johanssen eine Rolle als Transmann abwies – nur ein Trans-Schauspieler dürfe demnach eine Transfigur spielen. Gerade Johansson hatte dieses Phänomen schon einmal erlebt, als sie in der Graphic-Novel-Verfilmung „Ghost in The Shell“die Hauptrolle übernommen hatte, die in der Buchvorlage eine Asiatin war. Bei „Don’t Worry…“verteidigten sich van Sant und Phoenix damit, die Figur des John Callahan sei ja vor dem Unfall nicht behindert gewesen – ein absurder Streit. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, dürfen künftig nur noch Dänen den Hamlet spielen.