Turmhoch überfordert
Die Stadt Rottweil kann bisher von Deutschlands höchster Aussichtsplattform touristisch kaum profitieren
ROTTWEIL - Besucherboom im mit 246 Metern höchsten Gebäude Baden-Württembergs inklusive der mit 232 Metern höchsten Aussichtsplattform Deutschlands: In den ersten zehn Monaten hat Thyssenkrupp 120 000 Gäste im Rottweiler Testturm für Aufzüge registriert. Der von der Stadt erhoffte Tourismuseffekt ist dennoch weitgehend ausgeblieben.
„Die Resonanz ist überwältigend hoch“, schwärmt eine Sprecherin des Essener Konzerns. Aus allen Teilen Baden-Württembergs, aus der Schweiz und Frankreich eilen die Menschen herbei. Weitere Superlative sind in Sicht: Im August ist die Plattform mit Ausblick bis in die Schweizer Alpen erstmals die ganze Woche – außer montags – geöffnet, jeweils von 10 bis 18 Uhr, samstags bis 20 Uhr.
In der Stadt wächst derweil der Frust: Hubert Nowack, Stadtrat der Grünen, schlug gerade erst Alarm: „Wir haben die Gäste vor der Tür. Jetzt brennt der Kittel!“, warnte er. Rottweil war und ist nicht vorbereitet auf die neuen Gäste – trotz langer Vorlaufzeit: Es gibt keine Beschilderung, wie man am besten per Fahrzeug, zu Fuß oder per Fahrrad vom Gewerbegebiet Berner Feld in die nur zwei Kilometer entfernte Innenstadt kommt. Es gibt keinen Pendelverkehr. Und bisher gab es am Turm auch nichts zu trinken oder zu essen. Erst seit Ende Juli steht jetzt ein Foodtruck bereit.
Ein ähnliches Bild bietet sich in der Stadt selbst: Die Restaurants schließen um 14 Uhr, die Cafés um 18 Uhr, die Touristinfo am Samstag um 12 Uhr, wenn der große Ansturm beginnt. Da sind dann auch die meisten Geschäfte zu. Im Rathaus ist man sich keiner Schuld bewusst. Ein Sprecher verweist auf die aufwendige Aufbauarbeit auf allen Ebenen und auf Personalengpässe. Im Übrigen sei ständig eine Mitarbeiterin der Touristinfo auf dem Turm präsent. Der städtische Wirtschaftsförderer erklärt, mit bisher 1100 Führungen am und im Turm sowie 900 in der Stadt sei das Plansoll für 2018 bereits erfüllt.
Auch Alexander Seiz, von der Stadt als Tourismusexperte engagiert, rät angesichts „der Gästewelle“dringend zu Sofortmaßnahmen. Rottweil mit bisher 1,2 Millionen Tagesgästen pro Jahr und unterdurchschnittlichen Übernachtungszahlen müsse „umdenken“, weg von der Werbung „älteste Stadt Baden-Württembergs“. Der Turm und die geplante Verbindung in die Innenstadt per Fußgängerhängebrücke böten die Chance, sich „zu einem Leuchtturm“im Tourismusland Baden-Württemberg zu entwickeln.
„Wir haben die Gäste vor der Tür. Jetzt brennt der Kittel!“Grünen-Stadtrat Hubert Nowack über die mangelnde Gäste-Infrastruktur der Stadt im Angesicht des Ansturms
Doch das zieht sich. Das Planverfahren für die Brücke – Investor Eberhardt kommt aus Hohentengen – läuft zwar planmäßig, dauert aber bis zum Frühjahr 2019. Im Normalfall wäre die Einweihung bis Ende 2019 zwar möglich, gibt es allerdings Klagen, droht womöglich eine Verzögerung um Jahre. Auch wenn man Ausschau hält von der höchsten Aussichtsplattform der Bundesrepublik Deutschland: Sofortmaßnahmen sind nicht in Sicht.
Der Wirtschaftsförderer will Ende des Jahres sein Tourismuskonzept vorlegen. Das Verkehrskonzept ist derweil in noch weiterer Ferne. Die erst kurz vor den Ferien eingeleitete Änderung des Bebauungsplans, um eine Infrastruktur am Turm aufzubauen, dauert ein Jahr. Ein weiterer Investor aus Oberschwaben saniert zwar gerade die altehrwürdige Villa Duttenhofer, früher ein renommiertes Sternelokal, für einen Millionenbetrag, sucht aber seit Jahren vergebens nach einem passenden Betreiber. Und auch die Pläne für ein neues Hotel sind derzeit festgefahren.