Er will schlichten – und wird verprügelt
Weil ein Hotelangestellter in einem Familienstreit vermittelt, geht die Gruppe auf ihn los – Jochbeinbruch
OBERALLGÄU - Zwei verletzte Hotelangestellte waren die traurige Bilanz einer Silvesternacht. Die Feier des Jahreswechsels 2016/17 lief in einem Oberallgäuer Hotel derart aus dem Ruder, dass morgens an der Rezeption die Fäuste flogen. Jetzt hatte der Vorfall ein juristisches Nachspiel am Amtsgericht Sonthofen. Auf der Anklagebank saßen zwei Brüder aus Baden-Württemberg, 41 und 47 Jahre alt. Vorgeworfen wurde ihnen gefährliche Körperverletzung und Beleidigung – beide bestritten die Vorwürfe. Verurteilt wurden sie nicht. Dem Schöffengericht gelang es trotz aufwendiger Beweisaufnahme – ein Zeuge war sogar aus Bulgarien angereist – nicht, die Schuld der Angeklagten zweifelsfrei zu beweisen.
Frau mit Raketen geschlagen
Die Brüder waren 2016 mit ihrer Großfamilie ins Oberallgäu gekommen, um dort mit etwa 25 Personen Silvester zu feiern. So wurde festlich gespeist und viel getrunken, bis sich die Familie um kurz vor Mitternacht auf den Weg nach draußen machte. Dann entzündete sich unter den Verwandten ein Streit. Im Zuge der Auseinandersetzung soll der 41-jährige Angeklagte einer Frau mit einer Packung Silvesterraketen von hinten auf den Kopf und dann weiter auf sie eingeschlagen haben. Zwei Hotelangestellte gingen dazwischen – es kam zur ersten Rangelei zwischen der Großfamilie und dem Personal.
Rund eine Stunde später, gegen 1 Uhr nachts, kehrte der 41-jährige Angeklagte an die Rezeption zurück und beleidigte den 47-jährigen Hotelangestellten, der sich zuvor eingemischt hatte, mit sehr groben Worten und bedrohte ihn. Gegen 3.30 Uhr brach im Foyer des Hotels erneut ein lautstarker Streit innerhalb der Familie aus. Als es zu Handgreiflichkeiten kam, versuchte ein Service-Mitarbeiter zu schlichten. Daraufhin ging der ganze Familien-Clan geschlossen auf den Mann los, beschrieben Zeugen die Situation vor Gericht. Der 47-jährige Angestellte wurde geschubst, geschlagen, stürzte zu Boden und rette sich unter einen Marmortisch. Doch die aggressiven Hotelgäste ließen nicht von ihm ab, sondern traten auf ihn ein. Zwei Nachtportiers kamen ihrem Kollegen zu Hilfe, zogen ihn unter dem Tisch hervor, konnten aber nicht verhindern, dass ihr Kollege von einem Fußtritt am Kopf getroffen wurde und einen Jochbeinbruch erlitt. Ein weiterer Hotelangestellter wurde am Ohr verletzt. Einer Gruppe Bundespolizisten, die in dem Hotel untergebracht war, gelang es, die Situation zu beruhigen.
„Es war eine chaotische Nacht“, sagte ein Nachtportier im Zeugenstand. Dem Schöffengericht gelang es nicht, den Abend zu rekonstruieren. Die Zeugen hatten nicht genau gesehen, wer geschlagen und getreten hatte. Der Anwalt des 41-Jährigen säte Zweifel: Er zeigte den Zeugen Bilder von weiteren Familienangehörigen, die den angeklagten Brüdern zum Verwechseln ähnlich sahen.
Auch auf die Ermittlungen der Polizei konnte das Schöffengericht kein Urteil stützen. Die Beamten hatten den Hotelmitarbeitern Einzelbilder der zwei Angeklagten vorgelegt, um die Täter zu identifizieren. Bilder der ebenfalls anwesenden Familienangehörigen hatten sie den Zeugen nicht gezeigt. „Einzellichtbildvorlagen sind in diesem Zusammenhang wertlos“, sagte Richterin Brigitte GramatteDresse. Auch die Angeklagten trugen nicht zur Aufklärung bei. Sie äußerten sich nicht zu den Vorwürfen.
So blieb dem Schöffengericht keine Wahl: Der 47-Jährige wurde freigesprochen. Das Verfahren gegen den 41-Jährigen wurde gegen die Zahlung einer Geldauflage von 500 Euro an den Mitarbeiter eingestellt, der den Jochbeinbruch erlitten hatte. „Völlig unbefriedigend“, nannte Gramatte-Dresse den Ausgang des Verfahrens. „Es tut mir sehr leid, was Ihnen persönlich passiert ist“, wandte sie sich an das Opfer. „Aber wir müssen im Strafverfahren die Schläge konkret zuordnen und die hat kein Zeuge gesehen.“Es stehe fest, dass sich alle Beteiligten unglaublich danebenbenommen haben, sagte die Richterin und ermahnte die Angeklagten: „Es bleibt zu hoffen, dass das nächste Silvester der Familie anders verläuft.“