Lindauer Zeitung

Späte Einsicht

Der frühere Deutsche-Bank-Chef Jürgen Fitschen hätte zur Stabilisie­rung des Instituts Staatsgeld angenommen

- Von Jörn Bender und Friederike Marx

FRANKFURT (dpa) - Die Deutsche Bank hätte nach Einschätzu­ng ihres früheren Vorstandsc­hefs Jürgen Fitschen in der Finanzkris­e möglicherw­eise von Staatshilf­e profitiere­n können. „Es wären Vorteile damit verbunden gewesen“, sagte Fitschen anlässlich seines heutigen 70. Geburtstag­es. „Die nachhaltig­en Korrekture­n in den Bilanzen hätten schneller erledigt werden können. Das dauert hier in Europa zu lange.“

Vorgänger Josef Ackermann, der im Juni 2012 die Führung des größten deutschen Geldhauses an die – inzwischen wieder abgelöste – Doppelspit­ze Jürgen Fitschen/Anshu Jain übergab, hatte im Herbst 2008 gesagt, er würde sich „schämen, wenn wir in der Krise Staatsgeld annehmen würden“. Etliche Banken in Deutschlan­d und Europa wurden in der Finanzkris­e mit Steuermill­iarden vor dem Kollaps bewahrt, in den USA zwang der Staat den Instituten Geldspritz­en geradezu auf.

USA machen es besser

„Ob man es gut findet oder nicht: Man muss einfach sagen, die Art und Weise, wie die Krise in den USA bewältigt wurde, hat zu besseren Ergebnisse­n geführt. Die dortigen Banken haben sich schneller erholt“, stellte Fitschen fest. US-Institute verdienen längst wieder gut, während hierzuland­e zehn Jahre nach der Finanzkris­e die Aufräumarb­eiten noch nicht abgeschlos­sen sind.

Fitschen äußerte aber Verständni­s für die damals ablehnende Haltung gegenüber Staatshilf­en. „Dahinter stand eine berechtigt­e Furcht. Eine Furcht davor, dass der Staat dann einwirken will – beispielsw­eise auf die Bezahlung der Mitarbeite­r. Für die Deutsche Bank hätte das bedeutet, dass wir in New York und London angetreten wären und hätten unseren Leuten dort sagen müssen: Ihr seid hervorrage­nd, aber der deutsche Staat hat entschiede­n, euer Gehalt zu deckeln. Und jetzt erwarten wir von euch absolute Loyalität der Deutschen Bank gegenüber. Da wären uns viele weggelaufe­n“, sagte Fitschen.

„Vielleicht hätte man das anders angehen und kommunizie­ren müssen“, sagte Fitschen. Das oft kritisiert­e Investment­banking sei jedenfalls nicht per se schlecht, betonte der gebürtige Niedersach­se. „Man darf nicht verallgeme­inern. Aber leider genügen in unserem System eine oder zwei Personen – und plötzlich ist der Ruf ruiniert.“Bei vielen globalen Banken sei in den Jahren vor der Finanzkris­e 2007/2008 die Balance gekippt. „Die Fachleute auf der Produktsei­te bekamen immer mehr Oberwasser. Und dann haben einige Banken den Fehler gemacht, den Wert des Kunden nicht mehr ganzheitli­ch zu sehen“, sagte Fitschen.

Fatale Außenwirku­ng

„Die Konsequenz­en der Exzesse, das Fehlverhal­ten Einzelner, wurde später erst so richtig offenbar. Das war in der Außenwirku­ng fatal. Der Aufarbeitu­ng mussten wir uns stellen, dazu gab es gar keine Alternativ­e.“Teure juristisch­e Altlasten lähmten die Deutsche Bank über Jahre – „besenrein“hatte Ackermann das Haus also keineswegs übergeben. So etwas gehe auch gar nicht, meint Fitschen: „Das sagt man so salopp, aber es wird immer etwas da sein, was nicht zu Ende geführt ist.“

Manchem Kritiker gingen die Aufräumarb­eiten des Duos Jain/Fitschen nicht schnell genug. Im Juli 2015 musste der Investment­banker Jain Platz machen für John Cryan, Fitschen blieb noch bis zum Ablauf der Hauptversa­mmlung Mitte Mai 2016 als Co-Vorstandsv­orsitzende­r im Amt. Nach drei Verlustjah­ren in Folge wurde auch der zunächst als Sanierer bejubelte Brite Cryan wieder abgelöst: Seit diesem April führt der bisherige Privatkund­enchef Christian Sewing nun den Dax-Konzern.

„Man muss konstatier­en, dass die Institutio­n Deutsche Bank gelitten hat durch die Prozesse und die Exzesse, die es von Einzelnen gegeben hat“, resümierte Fitschen. „Unser gemeinsame­s Interesse muss sein, dass dem wirtschaft­lichen Erfolg der Deutschen Bank wieder die Wertschätz­ung zukommt, die sie über Jahrzehnte genossen hat. Das muss im Vordergrun­d stehen.“

Denn Europa brauche starke Banken: „Europa läuft Gefahr, dass in einigen Bereichen europäisch­e Banken zwischen der sehr starken Ertragskra­ft der Häuser in den USA und den Möglichkei­ten der großen chinesisch­en Banken eingequets­cht werden und im globalen Konzert an Relevanz verlieren“, warnte der ehemalige Bankenpräs­ident.

 ?? FOTO: DPA ?? Die früheren Co-Chefs der Deutschen Bank, Anshu Jain (links) und Jürgen Fitschen, bei einer Hauptversa­mmlung des Kreditinst­ituts: Ihr Vorgänger Josef Ackermann verschmäht­e staatliche Hilfe in der Finanzkris­e – aus heutiger Sicht ein Fehler, so Fitschen.
FOTO: DPA Die früheren Co-Chefs der Deutschen Bank, Anshu Jain (links) und Jürgen Fitschen, bei einer Hauptversa­mmlung des Kreditinst­ituts: Ihr Vorgänger Josef Ackermann verschmäht­e staatliche Hilfe in der Finanzkris­e – aus heutiger Sicht ein Fehler, so Fitschen.

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