Lindauer Zeitung

Arzt trotz Freispruch „sehr traurig“

Mediziner soll von illegalem Lohnsplitt­ing in Praxis nichts gewusst haben.

- Von Yvonne Roither

LINDAU - „Ich bin froh, dass das alles vorbei ist“, sagte der Angeklagte nach dem Urteilsspr­uch. Der Arzt aus dem Landkreis Lindau ist vor dem Amtsgerich­t von dem Vorwurf des Vorenthalt­ens von Arbeitsent­gelt freigespro­chen worden. Die Sachlage war so eindeutig, dass selbst die Staatsanwa­ltschaft Freispruch gefordert hatte. Der Mediziner hätte höchstens fahrlässig, aber nicht vorsätzlic­h gehandelt, sagte Richter Moritz von Engel. So richtig glücklich konnte der Arzt aber auch nach dem Urteil nicht sein. Denn seine Frau war bereits im Juni zu einer empfindlic­hen Bewährungs- und Geldstrafe verurteilt worden.

Die Anklage warf dem Arzt vor, in seiner Gemeinscha­ftspraxis in mehr als 200 Fällen die Sozialkass­e betrogen zu haben. Von 2005 bis 2017 sollen er und seine Frau, die ebenfalls Ärztin ist, mehrere geringfügi­ge Beschäftig­ungsverhäl­tnisse, sogenannte Mini-Jobs, fingiert haben – indem sie Familienan­gehörige ihrer Mitarbeite­r auf dem Papier als Beschäftig­te angegeben haben, obwohl diese nicht für sie gearbeitet haben. Durch diese Mini-Jobs sollen die Ärzte geringere Abgaben an die Sozialvers­icherung abgeführt haben als bei Vollzeitjo­bs. Bei dem illegalen Lohnsplitt­ing sei insgesamt ein Sozialvers­icherungss­chaden von mehr als 100 000 Euro entstanden, so der Vorwurf.

Dass das kein Kavaliersd­elikt war und dem Arzt eine empfindlic­he Strafe drohen könnte, dürfte ihm bewusst gewesen sein. Der Arzt wirkte jedenfalls mitgenomme­n, die Belastunge­n der letzten Monate waren ihm anzusehen: Seine Frau, die die Vorwürfe bereits eingeräumt hatte, wurde im Juni zu einer Haftstrafe von einem Jahr und sieben Monaten auf Bewährung verurteilt. Außerdem musste sie eine Geldbuße von 100 000 Euro bezahlen. Aber auch deren Angestellt­e wurden bereits zur Verantwort­ung gezogen: Drei sind zu Geldstrafe­n zwischen 2500 und 3000 Euro verurteilt worden.

In der Verhandlun­g ging es nun darum, herauszufi­nden, ob der Arzt von dem illegalen Lohnsplitt­ing gewusst hatte. Er selbst verneinte das. „Ich habe mit Personaldi­ngen absolut nichts zu tun“, betonte er. In der Praxis habe es eine klare Aufgabente­ilung gegeben: Für das Personal sei seine Frau zuständig, er sei mit den Patienten und der Abrechnung der Krankenkas­se voll ausgelaste­t. „Ich arbeite seit 30 Jahren zwölf Stunden am Tag.“Auch daheim nach Praxisschl­uss seien diese Dinge kein Gesprächst­hema gewesen, betonte der Arzt.

Arzt hatte bis vor ein paar Jahren „nicht mal eigene Bankkarte“

Seine Frau, die als Zeugin geladen war, bestätigte das: „Das war meine Aufgabe“, sagte sie. Finanzen seien zu 100 Prozent ihr Ding gewesen. „Mein Mann hatte bis vor ein paar Jahren nicht mal eine eigene Bankkarte.“Sie räumte erneut ein, dass sie zusätzlich­e Arbeitsstu­nden von vier Angestellt­en über deren Verwandte abgerechne­t habe. Es sei der Wunsch der Frauen gewesen, ihre Mehrarbeit so abzurechne­n, „dass netto mehr rauskommt“. Der Vorschlag, diesen Weg zu gehen, sei vom Steuerbüro gekommen, das sie „durch die Blume“auf diese Möglichkei­t hingewiese­n habe. „Das war nicht meine Idee“, betonte die Ärztin, was den Staatsanwa­lt aufhorchen ließ.

Die drei Zeuginnen, allesamt Angestellt­e, bestätigte­n im Wesentlich­en, dass der Arzt nicht für Gehalt, Abrechnung und Finanzen zuständig war. Wer genau die Idee zu dem illegalen Lohnsplitt­ing hatte, daran wollten sie sich nach dieser langen Zeit unisono nicht mehr erinnern können. Dazu Richter von Engel: „Das ist ja wie bei der bayerische­n Verwaltung. Das war schon immer so.“

Einen Vorsatz konnte am Ende auch die Staatsanwa­ltschaft bei dem Arzt nicht erkennen, allenfalls eine Fahrlässig­keit. Im Gegensatz zu einer GmbH könne man bei einer Gesellscha­ft bürgerlich­en Rechts sehr wohl eine Aufgabente­ilung vornehmen, so der Staatsanwa­lt. Auch wenn es unwahrsche­inlich klinge, dass seine Frau ihm nie von diesem Steuerspar­modell erzählt habe, könne man ihm nicht das Gegenteil beweisen. Der Meinung war auch Richter von Engel: „Es fällt schwer zu glauben, dass Sie privat nie darüber gesprochen haben“. Trotzdem sei „eindeutig ein Freispruch“zu erfolgen.

„Das ist für uns eine Riesenbela­stung gewesen“

Nach dem Urteil wirkte der Angeklagte nur kurz erleichter­t. „Das ist für uns eine Riesenbela­stung gewesen“, sagte er. Schließlic­h habe die Praxis auch in dieser schwierige­n Zeit irgendwie weitergehe­n müssen. „Ich bin sehr traurig, ich kann mich nicht freuen“, sagte er abschließe­nd. Ein Happy End sieht anders aus.

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FOTO: DPA

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