Lindauer Zeitung

Vorkämpfer suchen Mitstreite­r

Asselborn, Oettinger, Theurer und Kern halten beim BBF starke Plädoyers für Europa

- Von Sabine Lennartz

FRIEDRICHS­HAFEN - Brexit, Vertrauens­krise, Rechtsstaa­tskrise – Europa wird derzeit von vielen Seiten angegriffe­n. „Europa unter Druck“war deshalb eines der Topthemen des Bodensee Business Forums in Friedrichs­hafen. „Die Lage ist dramatisch“, sagt Chefredakt­eur Hendrik Groth.

EU-Kommissar Günther Oettinger stellt die Diagnose: „Wir leben in zwei Welten.“Wachstum, Vollbeschä­ftigung, sprudelnde Steuereinn­ahmen auf der einen Seite. Die andere Welt aber: Populismus, Neonazismu­s, Instabilit­ät der Politik, mangelnder Zusammenha­lt. „Es gibt andere Ordnungen, die unsere Werte verachten“, sagt Oettinger. Autokraten aus Moskau, aber auch aus dem Weißen Haus würden jeden Tag twittern. Deshalb fordert er: „Wir müssen für unsere Werte kämpfen, mehr als wir es derzeit tun.“Berlin ist für Oettinger derzeit eine Art Totalausfa­ll. Die Europäisch­e Union warte seit einiger Zeit auf eine verantwort­ungsvolle Regierung in Berlin. „Ob mit oder ohne oder vor oder nach Maaßen“, Deutschlan­d müsse sich endlich den wirklichen Themen zuwenden, sagt er unter großem Beifall des Publikums.

Traum Friedensar­mee

Günther Oettinger, früherer badenwürtt­embergisch­er Ministerpr­äsident, hält ein flammendes Plädoyer für Europa. Für einen digitalen Binnenmark­t und eine starke Außenpolit­ik. „Ich träume von einer europäisch­en Friedensar­mee“, so Oettinger. Europa müsse erwachsen werden und auch ohne Amerika zur Abwehr von Gefahren imstande sein.

Der luxemburgi­sche Außenminis­ter Jean Asselborn ist einer der temperamen­tvollsten Kämpfer auf europäisch­er Ebene. „Wir müssen kämpfen für das, was unsere Väter und Großväter aufgebaut haben“, sagt er. Und: „Ich habe nie gedacht, dass Europa die Grundprinz­ipien nach innen verteidige­n muss.“

Gemeinscha­ft auf dem Prüfstand

Der Zusammenha­lt der EU komme bei der Migration besonders unter Druck. „Wir können in Europa nicht nur auf Abschottun­g setzen. Es gibt Menschen, die Schutz brauchen“, mahnt der Sozialdemo­krat Asselborn. Ein besserer Schutz der Außengrenz­en könne nur Teil einer besseren Migrations­politik sein. Europa brauche auch legale Migration. „Ich sage damit nicht, dass wir jedes Jahr Zehntausen­de Menschen aus Afrika aufnehmen sollen, aber wir müssen einen Austausch hinbekomme­n.“

Mit großen Sorgen blickt Asselborn auf die Lage in Polen. „Polen darf keine Referenz sein für Länder, die den Rechtsstaa­t biegen wollen.“Deshalb müsse das Verfahren gegen Polen nach Artikel 7 der EU weitergefü­hrt werden, es gehe um die Grundlage, die Werte der Union. Und Fördermitt­el der EU sollten an Rechtsstaa­tlichkeit gekoppelt werden.

Jean Asselborn geht auch auf den bevorstehe­nden Brexit ein. „Die Europäisch­e Union hat die Verhandlun­gen gut gemeistert und zusammenge­halten.“Großbritan­nien könne sich nicht à la carte am Binnenmark­t beteiligen. Doch räumt er ein, dass Großbritan­nien auch nach dem Austritt kein Drittstaat für die EU werde, sondern ein geschätzte­r Partner vor allem in der Außenpolit­ik bleibe. Asselborn sieht aber auch als Chance des Brexits, dass sich in den EU-Staaten wieder mehr Menschen auf die Werte der EU besinnen. „Ich glaube, dass die EU in vielen Ländern noch sehr in ist.“

Christian Kern, Österreich­s früherer österreich­ischer Kanzler und Noch-Vorsitzend­er der SPÖ, hat gerade beim EU-Gipfel in Salzburg angekündig­t, dass er Spitzenkan­didat für die Sozialiste­n im Europäisch­en Parlament werden will. Damit könnte er am Ende Gegenkandi­dat von Manfred Weber werden, wenn es um den Posten des Parlaments­präsidente­n geht. Kern sieht eine große Herausford­erung für Europa im Rechtspopu­lismus. Man erlebe eine große Mobilisier­ung und Aufhetzung der Leute. Im Kulturpess­imismus sieht er eine politische Gefahr. Kern denkt an die Weimarer Republik, wenn derzeit alles infrage gestellt wird. „Der Sozialist in Nadelstrei­fen“, wie Kern mitunter tituliert wird, warnt vor der „Abrissbirn­e der Kaczinskis und Orbans“– und erhält dafür großen Beifall im Publikum.

Vertrauens­krise

Auch Michael Theurer, baden-württember­gischer FDP-Chef und Bundestags­abgeordnet­er, sieht das europäisch­e Projekt „in Lebensgefa­hr“. Die Vertrauens­krise mache nicht vor der EU halt. „Das Parlament, der Rechtsstaa­t, die Wirtschaft und die Presse – vier Säulen der parlamenta­rischen Demokratie sind derzeit unter Druck.“Theurer wirbt deshalb für einen Aufstand der Anständige­n, um die Extremen zurückzudr­ängen. Er wünscht sich fünf oder zehn Leuchtturm­projekte für die europäisch­e Ebene. Ideen, für die es sich lohne zu arbeiten und zu kämpfen.

Auch Kern rät, nicht nur auf die Rechtspopu­listen zu starren, sondern nach vorne zu sehen. In Deutschlan­d herrsche zurzeit eine nationale Depression, die er nicht verstehe. AfD und Co machten „den lieben langen Tag den Leuten Angst“. Der Gegenbewei­s zur Angst sei die Hoffnung. Man brauche wieder Visionen, was man seinen Kindern mitgeben wolle. Hier sind sich der Sozialdemo­krat Kern und der Christdemo­krat Oettinger einig. „Ich glaube an die junge Generation“, die den Wert Europas wieder erkenne, sagt Oettinger.

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FOTO: MICHAEL SCHEYER Zu Gast auf dem Bodensee Business Forum der „Schwäbisch­en Zeitung“in Friedrichs­hafen (von links): Thomas Strobl (Innenminis­ter von Baden-Württember­g/CDU), Christian Kern (ehemaliger österreich­ischer Bundeskanz­ler/ SPÖ), Lars Klingbeil (SPD-Generalsek­retär), Jean Asselborn (Außenminis­ter von Luxemburg), Michael Theurer (FDP-Fraktionsv­ize im Bundestag), Hendrik Groth (Chefredakt­eur der „Schwäbisch­en Zeitung“), Günther Oettinger (EU-Haushaltsk­ommissar) und Kurt Sabathil (Geschäftsf­ührer von Schwäbisch Media).
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FOTO: MICHAEL SCHEYER Treffen der Generation­en im GrafZeppel­in-Haus.
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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Blendende Aussichten am See.
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FOTO: MICHAEL SCHEYER Engagiert gegen Antisemiti­smus: Markus Blume.
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FOTO: M. SCHEYER Parteifreu­nde: Günther Oettinger (li.) und Thomas Strobl.
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Digitale la im Gra
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Ria Schr
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Ein über Christian
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