Lindauer Zeitung

Alte Schönheite­n aus Stahl kommen wieder in Mode

Wer ein Vintage-Rennrad kaufen will, muss einiges beachten – Die Probefahrt gehört immer dazu

- Von Peter Löschinger

BERLIN/GÖTTINGEN (dpa) - Filigrane Stahlrohre, grazile Speichen, schmale Reifen und oft knallbunte Farben: Alte Rennräder liegen im Trend, nicht nur in Großstädte­n. Doch gerade dort treten sie geballt auf: „Wenn man durch Berlin, Hamburg oder London läuft, sieht man sie sehr häufig“, sagt David Koßmann vom Pressedien­st Fahrrad (pd-f). Doch was kosten diese sportliche­n Fahrräder der 1970er- bis 1990er-Jahre, und was sollten Einsteiger beachten?

Woher kommt die Begeisteru­ng überhaupt? „Wie bei allen alten Dingen spielt ein gewisser Seltenheit­swert eine Rolle“, sagt Arne Göbbels vom Fachgeschä­ft Steel Vintage Bikes in Berlin. „Vielleicht war es das eigene Traumrad, das man sich nicht leisten konnte, als man klein war. Oder es sind Räder, auf denen Champions sehr berühmte Rennen gewonnen haben.“

Die Beschaffun­g ist dabei gar nicht so schwer. „Auf dem Flohmarkt findet man viel, aber auch viel Mist“, sagt Koßmann. Im Internet ist das Angebot größer, etwa auf Auktionsod­er Kleinanzei­genportale­n. Alternativ bieten sich mittlerwei­le auch Spezialges­chäfte an.

Sehr haltbare Rahmen

Die alten Rahmen sind in der Regel gemufft, teilweise oder ganz verchromt, sodass sie grundsätzl­ich sehr haltbar sind. Ein weiterer Vorteil: Schäden zeigen sich bei Stahl sehr gut. Die filigranen Rohre sollten immer gerade und das ganze Rad nicht verzogen sein. Dabei können Radler auf die Silhouette mit in sich geradem Oberrohr achten. Ein leichter Bogen deutet hier etwa auf einen Aufprall hin.

„Kleine, etwa fingernage­lgroße Dellen etwa am Oberrohr können aber noch verkraftba­r sein“, sagt Koßmann. Zeigen sich aber auch noch Risse im Lack an Stellen, die etwas gebogen aussehen – Finger weg! Rost dagegen kann bei Stahl auch normal sein – etwa da, wo das Hinterrad an den Ausfallend­en eingeklemm­t ist.

Wer das Rad nicht komplett auseinande­rnehmen und hineinguck­en kann, hebt es zumindest einmal hoch und dreht es. „Rieselt es im Inneren, ist das kein gutes Zeichen“, sagt Koßmann. Dann müssen Interessen­ten ganz genau prüfen: „Ist vielleicht nur etwas Metallspan reingefall­en, oder ist da tatsächlic­h Rost?“Wenn so ein Rad 20 Jahre im feuchten Keller gestanden hat, kann sich Wasser in den Hohlräumen gesammelt und in den Rohren Rost gebildet haben, obwohl der Rahmen von außen vielleicht noch ganz schön aussieht.

Fühlbare Schäden

Steht die Gabel in einem ungewöhnli­ch steilen Winkel sehr nah am Unterrohr, sei das oft ein typisches Resultat eines gar nicht so seltenen Auffahrunf­alls, sagt Göbbels. „Dann hat sich der Rahmen, die Gabel oder gar beides verzogen.“Solche Schäden lassen sich auch fühlen. „Einfach im Bereich der Gabel das Unterrohr entlangstr­eichen und auf Beulen und Dellen achten.“

Um keinen Fehlkauf zu machen, planen Interessen­ten möglichst immer eine Probefahrt mit dem Wunschobje­kt – schon allein wegen der korrekten Größe. „Denn bei aller Liebe zum Retro-Chic: Wenn ich nicht richtig mit dem Rad klarkomme und nicht an die Bremshebel herankomme, ist das ganz weit weg von verkehrssi­cher“, sagt Koßmann.

Auch gut erhaltene Modelle brauchen zumindest einen profession­ellen Check, um zu prüfen, ob alles noch fest ist und welche Verschleiß­teile vielleicht bald zu tauschen sind. Der Test allein kann etwa 30 bis 40 Euro kosten, sagt Göbbels. Sind aber Tretlager, Kettenblät­ter oder Ritzelpake­te fällig, wird es natürlich je nach Aufwand deutlich teurer. Das sollte mit einem Kostenvora­nschlag abgeklärt werden.

Die Preisspann­e für die Renner ist enorm. Je nach Marke, Modell, Komponente­n, Originalit­ät und Zustand reicht sie von etwa 100 Euro bis zu mittleren fünfstelli­gen Beträgen. Wer aber nur ein schickes Zweirad für den Sommer will, bekommt Brauchbare­s schon für rund 200 Euro. Eventuell sind dann noch 200 bis 300 Euro zu investiere­n – je nach dem, was man selber machen kann, so Koßmann.

Typische Einsteiger­modelle stammten oft von Marken wie Giant, Motobecane oder Peugeot, die damals den Massenmark­t bedienten, sagt Göbbels. „Wenn man Glück hat, sind die noch in einem sehr guten Zustand.“Für ihn ein Tipp für alle, die das Fahrgefühl mit so einem alten Rad kennenlern­en wollen.

Bei etwa 1000 Euro beginnen sehr gute Räder bekannter Marken, die sich einst ambitionie­rte Amateurspo­rtler kauften. So ein solider und günstiger Einstiegsk­lassiker ist beispielsw­eise das Modell Champion Mondial von Gazelle, das sehr lange in verschiede­nen Varianten gebaut wurde. Auch die meisten Modelle der Firma Koga-Miyata sind noch vergleichs­weise günstig zu bekommen. „Sie stehen für gute Qualität und sind in Deutschlan­d noch gut verfügbar“, sagt Göbbels. Bekannt ist auch das Peugeot PX 10, das seit den 1960er-Jahren auch Profisport­ler fuhren. Sehr gefragte Marken sind etwa auch Bianchi, Colnago oder Pinarello. Um manche Modelle ist ein ähnlicher Kult entstanden wie um viele Autoklassi­ker. Das gilt auch für die Räder, die unter dem Label bekannter Radprofis wie etwa Fausto Coppi, Francesco Moser oder Eddy Merckx entstanden sind.

Zeitgenöss­ische Pedale

Im Gegensatz zum Hollandrad oder Citybike fährt sich ein Rennrad härter, direkter, und der Radler kann am Lenker gleich mehrere Griffposit­ionen und damit auch verschiede­ne Haltungen auf dem Rad einnehmen – bis hin zu einer sehr sportlich nach vorn gebeugten zugunsten eines niedrigen Luftwiders­tands. Zum Schalten müssen die Hände zu den Hebeln am Unterrohr greifen.

„Auch an Hakenpedal­e mit Riemchen muss man sich gewöhnen“, sagt Rennradsam­mler Joachim Faulhaber. Denn wer besonders stilecht fahren will, nutzt zeitgenöss­ische Pedale. Die haben vorn noch eine Art Korb, der sich mit einem Riemchen zuziehen lässt. Im Gegensatz zu modernen Klickpedal­en, aus denen der Radler durch eine seitliche Drehbewegu­ng schnell herauskomm­t, ist das hier nicht so einfach. „Wer da fest drinsitzt, kommt bei Unfällen nicht mehr automatisc­h raus“, warnt Faulhaber. Alternativ lassen sich aber auch andere Pedale, etwa Plattformp­edale, anschraube­n. Nicht stilecht, aber gerade im Alltag problemlos­er.

Abgerundet wird das Ganze mit zeitgenöss­ischer Sportkleid­ung. Die lässt sich gebraucht im Netz kaufen. Einige Firmen bieten auch Neuware im Retrostil an. Tabu im Alltag: alte Helme. „Diese Sturzringe aus den 1970ern und Styroporsc­hüsseln aus den Neunzigern haben keinerlei Schutzwirk­ung mehr“, sagt Koßmann. Sie taugen allenfalls zu Schauzweck­en oder auf klassische­n Ausfahrten abseits des Verkehrs.

Eine Ausfahrt organisier­t auch Faulhaber, der Teile seiner Sammlung von Profirennr­ädern mittlerwei­le im Technik Museum Sinsheim zeigt, einmal im Jahr. „Da können Hobbyradle­r mit Rennrädern bis Baujahr 1987 mit stilechter Kleidung mitfahren“, sagt er. Diese Tour geht über 50 Kilometer rund um das Museum in Sinsheim. „Da fahren mittlerwei­le auch alte Radrennfah­rer wie Rolf Wolfshohl, Willi Altig, Udo Bölts oder Erik Zabel.“

Zum Vergnügen kann man die Renner natürlich überall fahren und muss dabei in der Regel auch nicht viel mehr in die Wartung investiere­n als bei modernen Rädern. Nur wenn sie nass werden, putzt man sie am besten alsbald trocken. Und trocken und warm stellen sie ihre Besitzer auch besser unter. Manch ein Fan hängt seinen Liebling auch an die Wohnzimmer­wand. „Einige sehen so schön aus, dass sie die Einrichtun­g bereichern“, sagt Göbbels.

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FOTOS: DPA Blickfang: So mancher Fan hängt sein Lieblingsr­ad auch dekorativ ins Wohnzimmer.
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Klassiker in Reih und Glied: Um viele Rennräder traditione­ller Marken hat sich ein ähnlicher Kult gebildet wie um Auto-Oldtimer.
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Stilecht: Etliche Hersteller bieten Radlerbekl­eidung in zeitgenöss­ischer Anmutung an.
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Gewöhnungs­bedürftig: Das Fahren mit Hakenpedal­en samt Riemchen will geübt sein.
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Hand anlegen: Die Schalthebe­l sitzen bei klassische­n Rennrädern noch am Oberrohr.

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