Papst Franziskus warnt vor „Sirenengesang“
Pontifex gedenkt in Litauen der Opfer des Holocaust
KAUNAS/VILNIUS (dpa/KNA) Papst Franziskus hat in Litauen der Verfolgung und Ermordung der Juden während des Nationalsozialismus gedacht. In Vilnius legte das Kirchenoberhaupt am Sonntag am Denkmal des ehemaligen Ghettos ein Blumengebinde nieder und betete schweigend. Begleitet wurde Franziskus bei dem kurzen Aufenthalt von Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite und von der Präsidentin der jüdischen Gemeinde Litauens, Faina Kukliansky. Der Papst warnte zugleich vor dem „Sirenengesang“von neuen Nationalisten und Populisten.
„Vor fünfundsiebzig Jahren erlebte diese Nation die endgültige Zerstörung des Ghettos von Vilnius; in diesem Ereignis gipfelte die Vernichtung Tausender von Juden“, sagte der Pontifex zuvor bei einer Messe in der Stadt Kaunas. Er mahnte, „rechtzeitig ein neues Aufkeimen solch verderblicher Haltung“zu erkennen und von allem, „was die Herzen der Generationen verführt, die diese Zeit nicht erlebt haben und die manchmal versucht sind, solchem Sirenengesang nachzulaufen“.
Vor genau 75 Jahren – am 23. September 1943 – hatten die deutschen Besatzer das letzte der beiden jüdischen Ghettos in der Altstadt von Vilnius geräumt. Die Bewohner, die nicht schon zuvor in nationalsozialistische Vernichtungslager transportiert worden waren, wurden deportiert oder erschossen. Während der deutschen Besatzung zwischen 1941 und 1944 ermordeten die Nationalsozialisten und die einheimischen Helfer mehr als 90 Prozent aller damals rund 200 000 in Litauen lebenden Juden.
Anschließend besuchte der Pontifex das Museum in der früheren Zentrale des Geheimdienstes KGB, das zeitweise auch die Gestapo und der NS-Geheimdienst SD nutzte. Dabei besichtigte das Katholiken-Oberhaupt Folterzellen und den Exekutionsraum. Begleitet wurde der Papst vom Priester Sigitas Tamkevicius, der selbst in dem Gebäude einsaß.
„Litauer und Menschen verschiedener Nationen haben am eigenen Leib den Größenwahn derer erlitten, die sich anmaßten, alles zu kontrollieren“, hieß es in seinem Gebet. „Möge dein Schrei, Herr, uns von der geistigen Krankheit befreien, vor der wir als Volk nie sicher sind: unsere Väter, das Erlebte und Erlittene zu vergessen.“Die Menschen sollten nicht „den vereinfachenden Parolen“verfallen. Heute reist Franziskus weiter nach Lettland. Mit einem Besuch in Estland endet die Reise am Dienstag.