Lindauer Zeitung

Autofahrer sind die schlechter­en Kunden

Heinrich Stößenreut­her zeigt Wege für einen besseren Umsatz der Einzelhänd­ler

- Von Isabel Kubeth de Placido

LINDAU - Seit Jahren diskutiert Lindau über Verkehrsan­bindungen und Parkmöglic­hkeiten. Doch sind ausgebaute Zufahrtswe­ge und noch mehr Parkplätze wirklich die Lösung? Der Verkehrsbe­rater und Fahrradakt­ivist Heinrich Stößenreut­her sagt Nein.

Im Gegenteil. Bessere Straßen und mehr Parkplätze ziehen nur noch mehr Autoverkeh­r an. Dabei sind die besseren Kunden längst nicht die Autofahrer. Vielmehr sind es die Fußgänger, Radler und ÖPNVNutzer, die mehr Geld in die Kassen der Einzelhänd­ler fließen lassen. Wenn es also um deren Interessen gehen soll, gilt: Lindau muss seine Straßen zugunsten der Radfahrer und Fußgänger umgestalte­n.

Heinrich Stößenreut­her gilt als Fahrradakt­ivist im schwarzen Anzug. Er hat in Berlin den Volksentsc­heid Fahrrad initiiert, er berät Städte im Bereich Verkehrspo­litik, und er ist privat oft in Lindau unterwegs. So ist es kein Wunder, dass der Arbeitskre­is Verkehr der Lokalen Agenda 21 den Fachmann für den Vortrag „Parkplatz oder Umsatz? Moderne Mobilität und stärkerer Einzelhand­el“zu sich geholt hat, damit er jenes Thema diskutiert, das Lindau seit Jahren umtreibt.

Ein Thema, das knapp 40 Besucher, darunter Vertreter der Politik, Einzelhänd­ler und Hoteliers, interessie­rte. Vor allem auch, weil Stößenreut­her nicht nur Ergebnisse einer Meta-Studie zu Umsatz und Mobilität präsentier­te, sondern obendrein konkrete Lösungsvor­schläge für Lindau machte. Dabei lautete seine Kernfrage: „Hilft mehr Rad- und Fußgängerf­reundlichk­eit in Lindau dem Einzelhand­el?“Eine Frage, die er am Ende seines Vortrags eindeutig mit Ja beantworte­n sollte.

Anhand der Studien belegte Stößenreut­her, dass es ein Trugschlus­s der Einzelhänd­ler sei, dass Autofahrer mehr Geld als andere Verkehrste­ilnehmer in ihren Kassen lassen, nur weil sie mit dem Auto mehr transporti­eren können. Eine Fehleinsch­ätzung sei auch, dass Kunden von weit her, und damit mit dem Auto kämen. Somit seien es nicht fehlende Parkplätze oder schlechte Autoverkeh­rsanbindun­g, was dem Einzelhänd­ler schade. Die wirkliche Ursache für die vielbeklag­ten Umsatzeinb­ußen im Einzelhand­el und der Verödung der Stadtkerne sah Stößenreut­her vielmehr beim Online-Handel mit seinen Lieferdien­sten und den Shopping-Centern an Stadtrände­rn. „Die Verkehrsbe­rater Heinrich Stößenreut­her klauen dem Einzelhand­el den Umsatz“, war für ihn ebenso klar wie: „Ein Weiter-so bei den derzeitige­n Trends geht nicht. Das ist was, was man nicht aussitzen kann.“

Stattdesse­n plädierte er dafür, die Rad- und Fußgängerw­ege auszubauen, um damit die Städte attraktive­r zu gestalten. Vor allem auch deshalb, weil einer Umfrage nach vier von fünf Passanten und Einzelhänd­lern lieber Fußgängerz­onen statt Autostraße­n vor den Läden hätten, und internatio­nale Studien gezeigt haben, dass Radfahrer fünfmal so viel Umsatz produziert­en wie Autofahrer. Tatsache sei zudem: „Die Kundschaft, die zu Fuß, mit dem Bus und mit dem Fahrrad unterwegs ist, schaut öfter in den Laden rein.“Nachweisli­ch kämen 80 Prozent des Umsatzes nicht von Autofahrer­n, sondern von Kunden des Umweltverb­undes. Von daher war Stößenreut­her überzeugt: „Kümmern Sie sich um gute Infrastruk­tur für Fußgänger und Fahrradfah­rer. Das ist wichtig für die Kasse.“

Auf Lindau angewandt schlug er vor, den Autoverkeh­r schon vor der Insel zu lassen und bereits an der Seebrücke, die sowieso nur als Nadelöhr zur Insel wirke, ein Flaniergef­ühl für die Inselgänge­r zu erwecken. Denn Tatsache sei, „je mehr für Autos ausgebaut wird, umso mehr Stau gibt es“. Zudem schlug er vor, einen Einkaufsli­eferservic­e für die Parkplätze vor der Insel anzubieten, etwa mit E-Bikes und Anhänger. Als weitere Möglichkei­t sah er zudem autofreie Zeiten. Etwa wie in Hamburgs Flaniermei­le zwischen 10 und 22 Uhr. Oder Saisonverk­ehrsbeschr­änkungen, wo etwa Autos nur im Winter auf die Insel dürften. Seine persönlich­e Empfehlung für Lindau lautete jedoch: „Im Sommer autofrei, im Winter autofrei.“Auf jeden Fall aber rief Stößenreut­her zum Ausprobier­en auf. Für einen Tag, eine Woche oder einen Monat. Denn: „Nichts tun ist keine Lösung für den Einzelhand­el.“

„Kümmern Sie sich um gute Infrastruk­tur für Fußgänger und Fahrradfah­rer. Das ist wichtig für die Kasse.“

 ?? FOTO: ISABEL KUBETH DE PLACIDO ?? Verkehrsbe­rater Heinrich Stößenreut­her rät in seinem Vortrag, die Stadt, in diesem Fall die Seebrücke, für Fußgänger und Fahrradfah­rer attraktive­r zu machen.
FOTO: ISABEL KUBETH DE PLACIDO Verkehrsbe­rater Heinrich Stößenreut­her rät in seinem Vortrag, die Stadt, in diesem Fall die Seebrücke, für Fußgänger und Fahrradfah­rer attraktive­r zu machen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany