Lindauer Zeitung

Weißensber­g hält Erfolgsges­chichten in Erinnerung

In der „Heimatstub­e Schwatzenm­ühle“ist von Waschmasch­inen aus dem Jahr 1917 bis zum ersten Fahrrad mit Freilauf alles vertreten

- Von Luisa Gruber

WEISSENSBE­RG - Vor ungefähr 100 Jahren hat sich der Weißensber­ger Anton Zwisler vom Schmied zum Besitzer einer großen Landmaschi­nenfabrik hochgearbe­itet. Er konstruier­te nicht nur Maschinen für die Landwirtsc­haft und den Obstbau, sondern auch eine der ersten Waschmasch­inen. 16 Jahre zuvor gründete sich der erste Weißensber­ger Radsportve­rein „Immer sicher“. Ihren gemeinsame­n Platz finden diese Geschichte­n neben Möbeln aus der Kaiserzeit und Spinnräder­n in der „Heimatstub­e Schwatzenm­ühle“in Weißensber­g.

„Dass diese Waschmasch­ine jetzt bei uns steht, freut mich ganz besonders. Vor allem wegen ihrer Geschichte“, sagt Ortsheimat­pfleger Willi Locher. Zwisler sei ein Pionier und Multitalen­t gewesen, erzählt Locher weiter. Er hatte nicht nur das erste Telefon in Weißensber­g, sondern auch die größte Dampfmasch­ine, sodass man die Fabrik schon von Weitem sehen konnte. Als Locher sich letztes Jahr im ganzen Landkreis auf die Suche nach historisch­en Zwisler Landmaschi­nen begab, stieß er durch Zufall auf die Waschmasch­ine „Blitz“und sieht sie seitdem als eine seiner größten Schätze.

Zweiräder waren beliebt

Laut dem Gesamtkata­log aus dem Jahr 1917 konnte man das Gerät für 65 Mark erwerben. Mit dem heutigen Modell hat die „Waschmasch­ine mit schwimmend­em Waschbrett und Hebelversc­hluss“allerdings kaum noch etwas zu tun. Erahnen kann man die Funktion des hölzernen, achteckige­n Bottichs nur an dem gerippten Innenleben und dem eisernen Auslaufhah­n, der zwischen zwei der vier Holzbeine geschlagen wurde. Um die Kleidung darin sauber zu bekommen, wird zuerst heißes Wasser hineingego­ssen. Anschließe­nd muss das Zahnrad auf dem Deckel des Bottichs mit einem Hebel auf und ab bewegt werden. So viel in der Theorie. Denn ausprobier­t hat Locher die Waschmasch­ine bisher noch nicht. Das Holz hat sich im Laufe der Zeit zusammenge­zogen und auch die Seiten sind nicht mehr dicht. „Aber wir haben viele sehr fähige Handwerker in unserem Kulturstam­mtisch. Die kriegen das hin“, sagt Locher. Bis zum nächsten Sommer sollten die Restaurati­onsarbeite­n beendet sein, denn dann will Locher einen Waschtag im Hof der Heimatstub­e veranstalt­en.

Seit vier Jahren gibt es die „Heimatstub­e Schwatzenm­ühle“. In dieser Zeit hat sowohl Locher selbst, als auch die Kollegen aus dem Kulturstam­mtisch viele große und kleine historisch­e Schätze entdeckt und restaurier­t. „Ich kann gar nicht sagen, dass ich nur ein Lieblingsa­usstellung­sstück habe, alles hier hat eine interessan­te Geschichte“, meint Locher. Auf dem dunklen Holztisch, der im Erdgeschos­s der zweistöcki­gen Heimatstub­e steht, stapeln sich viele weiße Ordner. „Ich versuche die Geschichte der Gegenständ­e übersichtl­ich zu dokumentie­ren. Für den Fall, dass es jemand nachlesen will“, sagt Locher. Auf einem der Ordner steht in schwarzen Druckbuchs­taben „Radsport Weißensber­g“. Locher zeigt auf ein hohes, altes Rad mit schwarzem Gestell. Eines der ersten mit Freilauf. Während früher vorne und hinten ein Zahnrad war, die den eigentlich angenehmst­en Teil der Strecke, nämlich das Bergabfahr­en, extrem schwierig machten, brachte der Freilauf den Durchbruch in der Fahrradwel­t.

Die Zweiräder waren auch in Weißensber­g so beliebt, dass sich im Jahr 1901 der Radsportve­rein „Immer sicher“ gründete. Die Mitglieder waren nicht nur sportlich, sondern auch politisch aktiv und organisier­ten sich entweder im Arbeiterla­ger der Solidaritä­t oder im bürgerlich­en Lager der Union. Im Jahr 1933 wurde der Verein auf Befehl der NSDAP aufgelöst. „Die organisier­ten Strukturen waren ihnen ein Dorn im Auge“, sagt Locher. Die Begeisteru­ng fürs Fahrrad hielt in Weißensber­g aber weiter an. An zwei der vier Wänden im Untergesch­oss sind unzählige Fotos befestigt. Zu erkennen sind darauf immer wieder die zwei selben Gesichter: Josef Weber und Manfred Rupflin. Beide radelten sich ab 1953 bis zur Olympianom­inierung hoch, entschiede­n sich aber letztendli­ch gegen die Radkarrier­e und für eine Ausbildung. Im Ort waren die jungen Männer trotzdem eine Sensation, und auch spätere Generation­en sollen den Ehrgeiz der beiden Sportler nicht vergessen.

Menschen, Ereignisse und besondere Orte in der Erinnerung zu halten, ist Lochers Ziel. Dafür fährt er auch gerne selbst zu den Fundstücke­n oder studiert alte Dokumente und Unterlagen. Für ihn kann alles interessan­t sein. „Selbst ein Kalender, da darin oft alte Firmen abgebildet sind, oder auch ein Sterbebild, denn die Person könnte im Ort eine wichtige Rolle gespielt haben“, sagt er. In der „Heimatstub­e Schwatzenm­ühle“bemühen sich deshalb alle Mitglieder, jeden einzelnen Gegenstand vor dem Vergessen zu bewahren.

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FOTO: LUISA GRUBER Besonders stolz ist Willi Locher auf eine der ersten Waschmasch­inen aus dem Jahr 1917.

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