Lindauer Zeitung

Immer mehr Bayern nutzen die Briefwahl

Rechtlich ist das Wählen am eigenen Küchentisc­h nicht unumstritt­en

- Von Christiane Bosch

WÜRZBURG/MÜNCHEN (lby) - Man sitzt am Küchentisc­h, der frisch gebrühte Kaffee auf der einen, der Laptop zur Recherche auf der anderen Seite und in der Mitte die Wahlzettel. So lässt es sich doch in aller Ruhe wählen. Immer mehr Deutsche nutzen diese Gelegenhei­t – zum Teil ohne triftigen Grund. Einfach nur, weil es so herrlich bequem ist. Das ist nicht unumstritt­en. Denn Briefwahl soll dem Gesetzgebe­r zufolge eigentlich die Ausnahme sein. Der Grund dafür: Nur im Wahllokal können die Wahlrechts­grundsätze eingehalte­n werden, allen voran das Wahlgeheim­nis. Bei einer Briefwahl könne dagegen nicht kontrollie­rt werden, ob ein Wähler seinen Stimmzette­l selbst ausfüllt oder dies – gegebenenf­alls unter Druck – einem Dritten überlässt, heißt es dazu vom Büro der Landeswahl­leitung in München.

Vielen Deutschen scheint der Komfort indes wichtiger als das strenge Einhalten der Wahlrechts­grundsätze. Die Zahl der Briefwähle­r steigt seit Jahren an. Der Hauptgrund für die Entscheidu­ng zur Wahl daheim statt im Wahllokal: Urlaub. Fast 22 Prozent der Befragten nannten einer infratest-dimap-Umfrage von 2015 zufolge diesen Grund. Gleich danach folgten Bequemlich­keit (19,3 Prozent), mögliche Abwesenhei­t am Wahltag (17,6 Prozent) und Termin am Wahltag (17,6 Prozent). 13,4 Prozent wollten einfach gern ungestört zu Hause wählen. Krankheit gaben nur 5,0 Prozent der Befragten an.

Die meisten Briefwähle­r gibt es in Bayern. Etwa 37 Prozent aller Wähler im Freistaat haben dem Landesamt für Statistik zufolge bei der Bundestags­wahl 2017 und der Landtagswa­hl 2013 ihre Kreuze lieber daheim als im Wahllokal gemacht. Und die Tendenz ist auch hier steigend.

Die Briefwahl gibt es in Deutschlan­d seit 1957. Damit sollte allen Menschen – vor allem älteren, kranken und behinderte­n – die Teilnahme an der Wahl ermöglicht werden. Nicht einmal fünf Prozent nutzten das seinerzeit. Seitdem ist die Briefwahlb­eteiligung stetig angestiege­n.

Keine Begründung notwendig

Bis 2012 musste in Bayern zudem gut begründet werden, warum man nicht persönlich im Wahllokal erscheinen kann. Für die Bundestags­wahl wurde das bereits 2008 abgeschaff­t. Darauf wurde zum einen verzichtet, weil ohnehin kaum kontrollie­rt wurde, ob die Begründung­en auch stimmten. Zum anderen habe der Gesetzgebe­r erkannt, dass „immer weniger Menschen bereit und in der Lage sein dürften, ihre individuel­le Lebensgest­altung einzuschrä­nken, um im eigenen Wahllokal wählen zu können“, heißt es zudem vom Büro der Landeswahl­leitung.

Das bestätigt auch Politikwis­senschaftl­er Christoph MohamadKlo­tzbach. „Die Briefwahl passt sehr gut in das derzeitige Lebensgefü­hl von ,Mehr Freiheit haben‘ rein. Dass das in das politische System schwappt, ist schon sehr nachvollzi­ehbar“, sagt der Wahlforsch­er der Universitä­t Würzburg.

Ein praktische­r Grund ist zudem, dass die doch sehr großen Zettel viel besser daheim in Ruhe studiert werden können. „Sie haben riesige Wahlzettel und immer mehr Parteien, die antreten. Auch das mache ich lieber zu Hause und dann komme ich auch nicht durcheinan­der.“Hinzu kommt Mohamad-Klotzbach zufolge der Vorteil, dass mit der Briefwahl auch die Wahlbeteil­igung steigt. „Es senkt die Hürde, es ist bequemer und damit erhöht man auch die Beteiligun­gsquote“, sagt der 36-jährige Politikwis­senschaftl­er.

In Würzburg hat Oberbürger­meister Christian Schuchardt (CDU) dieses Wissen genutzt und bei einem Bürgerents­cheid im Frühjahr mit dem Stimmzette­l die Briefwahlu­nterlagen direkt mit versandt. „Der Erfolg war gigantisch. Wir haben dadurch eine Bürgerbete­iligung von mehr als 40 Prozent erreicht. In den Jahren zuvor waren es nie mehr als 20 Prozent“, so der Rathausche­f. Und: Fast 97 Prozent der Wähler hatten sich für die Briefwahl entschiede­n.

Wäre das dann nicht auch eine Idee für Kommunal-, Landtags- und Bundestags­wahlen? OB Schuchardt hat darauf eine eindeutige Antwort: „Das dürfen wir nicht. Das ist bei Personenwa­hlen nicht zulässig.“Dazu müssten erst Wahlgesetz­e und -verordnung­en an verschiede­nsten Stellen umfassend geändert werden, heißt es vom Büro der Landeswahl­leitung dazu. Für Bürgerents­cheide waren die schon angepasst worden. Das sei aber nicht das Entscheide­nde. „Vielmehr müsste sich die grundlegen­de Rechtsauff­assung ändern, dass Briefwahl nur die Ausnahme sein soll“, erläutert die Landeswahl­leitung.

Trotzdem wird wohl auch heuer von den fast 9,5 Millionen wahlberech­tigten Bayern jeder vierte, vielleicht sogar jeder dritte seine Kreuze am Küchentisc­h statt im Wahllokal machen. Ausgezählt werden diese Stimmen – wie alle anderen auch – am Wahlabend ab 18.00 Uhr.

Auch Tote wählen mit

Dann werden übrigens auch die gültigen Stimmen von Briefwähle­rn mitgezählt, die noch vor der Landtagswa­hl am 14. Oktober gestorben oder weggezogen sind. Dem Büro der Landeswahl­leitung zufolge werden sie dadurch nicht ungültig. Das regelt das Landeswahl­gesetz. Wie viele Tote deshalb mitwählen, ist statistisc­h allerdings nicht erfasst.

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FOTO: DPA Auch aus Bequemlich­keit ziehen viele Menschen das Wählen am eigenen Küchentisc­h vor – vor allem in Bayern.

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