Und Käthchen entschwindet in die Freiheit
Landesbühne Schwaben fasziniert mit schlüssigem Konzept
LINDAU – Kann uns ein „historisches Ritterschauspiel“von 1808 heute noch etwas zu sagen haben? Es kann, wie am Mittwoch das Gastspiel des Landestheaters Schwaben im Lindauer Theater gezeigt hat. Ein „wunderbares Experiment“hat Alexander Warmbrunn die Inszenierung der Memminger Intendantin Kathrin Mädler genannt. Ein gelungenes Experiment war es, weil Mädler aus heutiger Perspektive an Heinrich von Kleists „Käthchen von Heilbronn“herangeht und mit ihrer Sicht auch die 150 Schüler im Raum zu fesseln versteht.
Die Protagonistin ist 15, noch jünger als die Oberstufenschüler, und ihr Weg ist vorherbestimmt: Sie soll ihren Platz in der Gesellschaft annehmen und den vom Vater ausgewählten Mann ihres Standes heiraten. Doch Käthchen (Miriam Haltmeier) hat einen Traum: Ein Cherub hat ihr ihren zukünftigen Märchenprinzen gezeigt, und diesem Traum folgt sie mit radikaler Konsequenz – keine Demütigung, keine Abweisung kann sie davon abhalten. Auch der Ersehnte, Graf Wetter vom Strahl (Tobias Loth), hatte den Traum, doch ihm wurde eine Kaiserstochter versprochen – was soll er da mit der Tochter des Waffenschmieds, die ihn so aufdringlich verfolgt? Zwar gefällt sie ihm, aber er will partout an den Grenzen seines Standes festhalten.
Die Träume passen nicht in die Wirklichkeit, doch die Sehnsucht nach dem Besonderen, nach dem Großen bleibt. Die Figuren wollen ausbrechen aus dem ihnen gesteckten Rahmen, sie fallen buchstäblich aus dem hellen Lichtrahmen um das leere Spielfeld. Auch ihre Kleidung hat noch Reminiszenzen an die Ritterzeit, doch Käthchens Parka und Gummistiefel machen sie zur Frau von Heute (Bühne und Kostüme: Ulrich Leitner). Eine starke Frau, die ohne Maß dem Traummann folgt, die ihn gleichermaßen abstößt und anzieht, auch wenn er meint, die Traumfrau in der überdrehten Kunigunde von Thurneck (Claudia Frost) gefunden zu haben, die ihrerseits mit weiblichen Waffen um ihn kämpft.
Kleist bleibt präsent
Die Regisseurin spitzt das Spiel auf den Tanz auf der Grenze von Wirklichkeit und Traum zu, legt den Fokus auf die vier Hauptfiguren, fasst die Nebenfiguren in zwei weiteren Spielern zusammen, wobei der Cherub seine Flügel ablegt und als Spielleiter (Sandro Šutalo) ständig präsent bleibt, jedem vertraut bleibt und doch das Spiel lenkt. Wandlungsfähig schlüpft Fridtjof Stolzenwald in Figuren vom Ritter bis zum Kaiser. Dass auch Kleist voll und ganz präsent bleibt, liegt nicht zuletzt an der vorzüglichen Sprechweise der Spieler. Lebhaft sind Mimik und Körpersprache: Als wäre man dabei gewesen, erlebt man den Bericht des Waffenschmieds (André Stuchlik) vom Ausbruch seiner Tochter, wie eine Traumsequenz den Moment, wo Käthchen und ihr Ritter von ihren gleichen Träumen erfahren. Doch die Erfahrungen an seinem Hof lassen Käthchen erwachen: Warum soll sie ihn heiraten, wenn er sich erst dazu entschließt, nachdem der Kaiser sie als Tochter anerkannt hat? Die Regisseurin entlässt sie in die Freiheit und Kunigunde mit ihr. Wie zwei Verbündete verlassen sie die Bühne, verlassen ihren Rahmen und entschwinden ins Freie. Die Hochzeitskleider, die von der Decke herabhängen, bleiben ungenutzt.