Lindauer Zeitung

Auch dieser Brexit-Gipfel hat keine Fortschrit­te gebracht

EU und Großbritan­nien steuern weiter auf einen unkontroll­ierten Austritt der Briten zu – Abgeordnet­e warnt vor „komplettem Zusammenbr­uch“

- Von Daniela Weingärtne­r und Agenturen

BRÜSSEL - Ohne messbare Ergebnisse ist der EU-Gipfel zu Ende gegangen, bei dem erneut der Brexit, die Migrations­politik und die Reform der Eurozone auf der Tagesordnu­ng standen. Dennoch bemühten sich die Teilnehmer darum, Optimismus zu verbreiten. „Wir sind viel besserer Stimmung als nach den Treffen in Salzburg“, sagte Ratspräsid­ent Donald Tusk. „Wir sind näher an einer Einigung – das ist allerdings mehr ein Gefühl als ein Fakt.“Aber, schloss Tusk: „Gefühle zählen – auch in der Politik!“

Zankapfel Übergangsp­eriode

Sowohl Tusk als auch Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker signalisie­rten in Sachen Brexit, dass sie einer Verlängeru­ng der Übergangsp­eriode zwischen EU-Austritt Großbritan­niens und neuem Handelsver­trag zustimmen würden, sollte Großbritan­nien eine solche Fristverlä­ngerung erbitten. Vor einem Jahr hatte Theresa May vorgeschla­gen, Großbritan­nien für zwei weitere Jahre in Binnenmark­t und Zollunion zu belassen, bis ein neuer Handelsver­trag mit der EU abgeschlos­sen ist. Austrittsb­efürworter reagierten empört, denn in dieser Phase hätte Großbritan­nien kein Mitsprache­recht mehr in der EU, müsste aber sämtliche finanziell­en und gesetzlich­en Verpflicht­ungen weiter erfüllen.

May hat eine Verlängeru­ng der Übergangsf­rist ins Spiel gebracht, weil sie dadurch die von der EU geforderte „Rückversic­herung“für Nordirland zu umgehen hofft. Sollten nämlich die Freihandel­sgespräche scheitern, will die EU Nordirland dauerhaft in der Zollunion behalten, was einer neuen Grenze innerhalb Großbritan­niens gleichkäme.

Auf diesem sogenannte­n Backstop will EU-Verhandlun­gsführer Michel Barnier auch dann bestehen, wenn die Übergangsf­rist verlängert wird. Es gibt noch ein Indiz, das gegen den demonstrat­iv verbreitet­en Optimismus spricht: Die EU hat den für November eingeplant­en BrexitSond­ergipfel gestrichen.

Es gebe nicht genug Fortschrit­te, erklärte der Ratspräsid­ent nach einem Lageberich­t von Barnier. Einige erfahrene EU-Gipfel-Teilnehmer wie die litauische Präsidenti­n Galia Grybauskai­te kommentier­ten die Nachricht trocken: Das Drama sei wohl noch nicht groß genug, um die Verhandler Richtung Kompromiss zu bewegen.

Beobachter warnten erneut vor den chaotische­n Folgen eines Austritts ohne vertraglic­he Vereinbaru­ng. „Nicht nur die Irlandfrag­e bliebe bei einem No-Deal ungelöst“, sagte die FDP-Europaabge­ordnete Gesine Meissner. „Im Verkehrsse­ktor droht ein kompletter Zusammenbr­uch. Die britische Zollagentu­r warnt, dass sowohl Personen- als auch Warentrans­port auf der Straße EU-Gesetzen folgen und der Zugang zum Vereinigte­n Königreich damit ungeregelt wäre.“Der Flugverkeh­r müsste nach dem Austrittsd­atum, dem 29. März nächsten Jahres, komplett gestoppt werden, warnte Meissner.

Großbritan­nien und die restlichen EU-Staaten wollen nun die letzte Hürde auf dem Weg zu einem Brexit-Vertrag in weiteren Verhandlun­gen überwinden. Die Staaten seien sich einig, „alles daranzuset­zen, eine Lösung zu finden“sagte Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU). Die britische Premiermin­isterin May legte ihren Kollegen in Brüssel allerdings keine neuen Vorschläge zur Irland-Frage vor. Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz sagte: „Vieles von dem, was sie uns gesagt hat, war schon bekannt.“

Stillstand bei Thema Asyl

Bei den anderen Themen, die am Mittwochab­end und Donnerstag in Brüssel auf der Agenda standen, gab es ebenfalls keine Fortschrit­te. In der Schlusserk­lärung werden Rat und Parlament lediglich aufgeforde­rt, die Arbeit am Gesetzespa­ket Migration und Asyl fortzusetz­en.

Der ungarische Botschafte­r bei der EU versandte noch vor Gipfelschl­uss dazu eine Erklärung seiner Regierung: „Die sogenannte DublinRefo­rm würde verlangen, dass die Nationalst­aaten Grenzschut­zaufgaben an die EU-Agentur Frontex übertragen. Das würde die Mitgliedss­taaten des Rechts berauben, souverän zu entscheide­n, wer bei ihnen Flüchtling­sstatus erhält und wer nicht.“14 Mitgliedss­taaten hätten Widerstand gegen diesen Plan signalisie­rt.

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FOTO: DPA Theresa May hat noch keinen Ausweg aus ihrem Brexit-Dilemma.

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