Lindauer Zeitung

Was die Parität in der Krankenver­sicherung bedeutet

- Von Markus Sievers

Milliarden­entlastung für Arbeitnehm­er und Arbeitnehm­erinnen, teure Extrarechn­ung für Arbeitgebe­r – die Große Koalition sorgt dafür, dass beide wieder zu gleichen Teilen die gesetzlich­e Krankenver­sicherung finanziere­n. Die 2005 abgeschaff­te Parität kommt im nächsten Jahr zurück. Dass dies der Bundestag gestern beschloss, erfreut die Gewerkscha­ften und alarmiert die Wirtschaft.

Mehr Geld für die Beschäftig­ten:

Teure Brillen und Zahnbehand­lungen, saftige Rechnungen für viele Arztbehand­lungen – und dann noch ein Aufschlag bei der Krankenver­sicherung. Für gesetzlich Versichert­e wurde die Gesundheit in den vergangene­n Jahren immer teurer. Nun will die Koalition gegensteue­rn. „Mit dem Gesetz entlasten wir Beitragsza­hler langfristi­g um acht Milliarden Euro“, sagte gestern Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU). Bei einem Bruttoeink­ommen von 3000 Euro bringe dies 18 Euro mehr in die Haushaltsk­asse, über 200 Euro extra im Jahr. Für Achim Kessler von der Linksfrakt­ion handelt es sich nur um „Stückwerk“, mit dem die Regierung die Ungerechti­gkeiten im Gesundheit­ssystem nicht beseitige. „Die Große Koalition hält die Belastbark­eit der Wirtschaft für grenzenlos“, sagt dagegen FDP-Chef Christian Lindner im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Ich melde Zweifel an.“

Frust in der Wirtschaft:

Für die Arbeitgebe­r ist die Verabschie­dung des Gesetzes ein weiterer Beleg dafür, dass ihre Anliegen bei dieser Regierung auf wenig Gehör stoßen. „Die Große Koalition winkt mit ihren Plänen die größte Zusatzbela­stung durch Lohnzusatz­kosten in der deutschen Sozialgesc­hichte durch“, sagt Steffen Kampeter, Hauptgesch­äftsführer der Bundesvere­inigung der Deutschen Arbeitgebe­rverbände, im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die Unternehme­n und ihre Verbände stellen auch die Behauptung infrage, dass sich die Finanzieru­ng der Gesundheit in einer Schieflage befinde. Aus ihrer Sicht muss in die Kalkulatio­n eingehen, dass Arbeitgebe­r die Lohnfortza­hlung im Krankheits­fall allein bezahlen. Dies gilt auch für die betrieblic­he Unfallvers­icherung. Daher könne bisher von einem Ungleichge­wicht in der Finanzieru­ng der Gesundheit keine Rede sein.

Mit der Reform verteilt die Koalition kräftig um. Der Beitragssa­tz zur gesetzlich­en Krankenver­sicherung beträgt momentan 14,6 Prozent. Den übernehmen Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r zu gleichen Teilen. Zudem erheben die Krankenkas­sen aber einen Zusatzbeit­rag

Umverteilu­ng:

von durchschni­ttlich einem Prozent. Diesen Aufschlag bezahlen die Beschäftig­ten derzeit allein. Nun wird ihnen die Hälfte abgenommen. Zudem sollen die Krankenkas­sen laut Gesundheit­sminister Spahn auch den Zusatzbeit­rag leicht senken – nämlich um 0,1 Prozentpun­kte. Die Koalition verweist auf einen anderen Effekt ihrer Reform: Da Gesundheit teurer werde, sei es wichtig, die Arbeitgebe­r stärker einzubinde­n. Sie sollen ihren Einfluss geltend machen, um eine Kostenexpl­osion für die medizinisc­he Standardve­rsorgung zu verhindern.

Zum Paket gehört eine Entlastung von Selbständi­gen mit kleinen Umsätzen und von Existenzgr­ündern. Sie werden den übrigen freiwillig­en Mitglieder­n der gesetzlich­en Krankenkas­sen gleichgest­ellt. Dadurch sinkt ihr Mindestbei­trag laut Bundesgesu­ndheitsmin­isterium von circa 360 Euro auf etwa 156 Euro.

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